BFH zur Restschuldbefreiung gemäß § 301 InsO sowie zur beschränkten Nachhaftung des Schuldners für Umsatzsteuerschulden nach Einstellung des Insolvenzverfahrens gemäß § 211 InsO

Der BFH hatte zu entscheiden, ob für nach Abschluss des Insolvenzverfahrens noch rückständige Umsatzsteuerschulden aus Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters die Haftung des Steuerpflichtigen auf das ehemals zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beschränkt ist (Az. XI R 23/22).

BFH, Urteil XI R 23/22 vom 14.05.2025

Leitsatz

  1. Masseverbindlichkeiten fallen nicht unter die Restschuldbefreiung nach § 301 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO).
  2. Eine Steuer wird auch dann ohne rechtlichen Grund gezahlt, wenn sie unter Protest beglichen wird und ihrer Geltendmachung eine dauerhafte Einrede entgegensteht (Fortführung des Urteils des Bundesfinanzhofs ‑ BFH ‑ vom 10.11.2015 – VII R 35/13, BFHE 252, 201, BStBl II 2016 S. 372).
  3. Beruhen Umsatzsteuerschulden als Masseverbindlichkeiten allein auf Handlungen des Insolvenzverwalters, kommt eine Haftung des Insolvenzschuldners mit seinem insolvenzfreien Vermögen während des Insolvenzverfahrens nicht in Betracht.
  4. Diese Haftungsbeschränkung gilt weiter, wenn das Insolvenzverfahren nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 211 InsO) eingestellt sowie dem Insolvenzschuldner Restschuldbefreiung erteilt wurde (Fortführung des BFH-Urteils vom 10.11.2015 – VII R 35/13, BFHE 252, 201, BStBl II 2016 S. 372).

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 13.07.2022 – 4 K 1280/21 AO und die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 28.04.2021 aufgehoben.

Der Abrechnungsbescheid des Beklagten vom 02.11.2020 wird dahingehend geändert, dass ein Erstattungsanspruch in Höhe von … € ausgewiesen wird.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Gründe

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erbrachte als Unternehmer steuerpflichtige Umsätze. Über sein Vermögen wurde im Juli 2008 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter führte das Unternehmen des Klägers fort und zeigte bereits im September 2008 drohende Masseunzulänglichkeit an.

2

Für die Jahre 2008 bis 2010 entstand aufgrund der Fortführung des Unternehmens des Klägers durch den Insolvenzverwalter Umsatzsteuer, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt –FA–) –neben Zinsen zur Umsatzsteuer– als Masseverbindlichkeit gegenüber dem Insolvenzverwalter festsetzte. Die festgesetzten Beträge wurden aus der Insolvenzmasse nicht gezahlt.

3

Im September 2016 wurde das Insolvenzverfahren nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit eingestellt (§ 211 der Insolvenzordnung –InsO–), nachdem dem Kläger Restschuldbefreiung erteilt worden war.

4

Mit Vollstreckungsankündigung vom 12.08.2020 forderte das FA den Kläger auf, die für die Jahre 2008 bis 2010 gegenüber dem Insolvenzverwalter festgesetzte und noch nicht gezahlte Umsatzsteuer nebst Zinsen und Säumniszuschlägen zu entrichten. Der Kläger berief sich auf die ihm erteilte Restschuldbefreiung und machte weiter geltend, es sei zumindest § 80 InsO zu beachten, der vorliegend eine dauerhafte Vollstreckungseinrede begründe. Danach komme es auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht zu einer persönlichen Haftung des ehemaligen Insolvenzschuldners für Masseverbindlichkeiten. Zwar habe der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass § 80 Abs. 1 InsO keine Haftungsbeschränkung zu entnehmen sei hinsichtlich Masseverbindlichkeiten, denen Einkommensteuerschulden zugrunde lägen. Dies sei aber für seinen Fall unerheblich. Denn das FA nehme ihn nicht wegen Einkommensteuer, sondern wegen Umsatzsteuer in Anspruch. Diese Steuerschulden seien durch aktive Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet worden, was eine abweichende Beurteilung rechtfertige.

5

Das FA pfändete sodann die Ansprüche des Klägers aus seiner Geschäftsverbindung mit einem Kreditinstitut und ordnete deren Einziehung an. Der Kläger kündigte daraufhin an, dass er die vom FA geltend gemachten Abgabenrückstände zur Abwendung der Vollstreckung zahlen, den Betrag allerdings zurückfordern werde. Demgemäß zahlte der Kläger am 23.09.2020 unter Vorbehalt an das FA und forderte diesen von ihm geleisteten Betrag mit Schreiben vom 13.10.2020 zurück.

6

Mit Abrechnungsbescheid vom 02.11.2020 stellte das FA fest, dass die Konten bezüglich der für die Jahre 2008 bis 2010 festgesetzten Umsatzsteuer zuzüglich der Zinsen und Säumniszuschläge durch zwischenzeitliche Zahlung jeweils ausgeglichen seien, der Saldo jeweils 0 € betrage. Eine Rückzahlung des vom Kläger nunmehr geltend gemachten Betrags wurde abgelehnt. Der dagegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 28.04.2021).

7

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der der Kläger allein eine Entscheidung über einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von … € begehrte, ab. Der Abrechnungsbescheid vom 02.11.2020 sei nicht zu beanstanden, denn ein Anspruch auf Erstattung des an das FA gezahlten Betrags stehe dem Kläger nicht zu. Rechtsgrund der Zahlungen seien die Umsatzsteuerschulden nebst Zinsen und Säumniszuschlägen für die Jahre 2008 bis 2010 gewesen. Für diese Masseverbindlichkeiten müsse der Kläger als ehemaliger Insolvenzschuldner nach Abschluss des Insolvenzverfahrens einstehen. Soweit aus § 80 Abs. 1 InsO eine Haftungsbeschränkung folge, greife diese jedenfalls dann nicht mehr, wenn das Insolvenzverfahren –wie hier– abgeschlossen sei. Dies habe der BFH bereits ausdrücklich für Einkommensteuerschulden entschieden (BFH-Urteil vom 28.11.2017 –  VII R 1/16, BFHE 260, 26, BStBl II 2018, 457). Diese Rechtsprechung sei auch auf Umsatzsteuerschulden anzuwenden.

8

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Der Insolvenzverwalter hätte die laufende Umsatzsteuer abführen müssen. Mit ihr liege, anders als im Falle der Einkommensteuer, nicht bloß eine Steuer vor, die im Rahmen der Verwaltung fremden Vermögens anfalle. Umsatzgeschäfte könnten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich durch den Insolvenzverwalter abgeschlossen werden. Dies unterscheide die Situation grundlegend von derjenigen im Bereich entstandener Einkommensteuerschulden. Seine Haftung als ehemaliger Insolvenzschuldner komme deshalb für Masseverbindlichkeiten in Form von Umsatzsteuerschulden nach Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht in Betracht.

9

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung vom 28.04.2021 aufzuheben und den Abrechnungsbescheid vom 02.11.2020 dahingehend zu ändern, dass ein Erstattungsanspruch in Höhe von … € ausgewiesen wird.

10

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

11

Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zwar zu Recht eine Anwendung des § 301 InsO verneint. Zu Unrecht hat es allerdings eine auf die Masse beschränkte Nachhaftung des Klägers abgelehnt.

12

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass das FA über das Bestehen des hier allein streitigen Erstattungsbetrags zulässigerweise durch Abrechnungsbescheid entschieden hat (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 03.09.1992 – XI B 43/92, juris; BFH-Urteile vom 29.10.2002 –  VII R 2/02, BFHE 200, 88, BStBl II 2003, 43, unter II.1.; vom 10.11.2015 –  VII R 35/13, BFHE 252, 201, BStBl II 2016, 372, Rz 10).

13

2. Das FG hat zu Recht angenommen, dass die Forderungen des FA aus Umsatzsteuer 2008 bis 2010 als Masseverbindlichkeit nicht unter die Restschuldbefreiung nach § 301 Abs. 1 InsO fallen.

14

a) Nach der Rechtsprechung des BFH, der der erkennende Senat folgt, greift die Restschuldbefreiung nach § 301 Abs. 1 InsO auch im Steuerrechtsverhältnis (§ 37 Abs. 1 der Abgabenordnung –AO–) nur gegenüber solchen Steuerforderungen, bei denen das FA Insolvenzgläubiger ist (vgl. BFH-Urteile vom 28.11.2017 –  VII R 1/16, BFHE 260, 26, BStBl II 2018, 457, Rz 13; vom 02.04.2019 –  IX R 21/17, BFHE 264, 109, BStBl II 2019, 481, Rz 15). Insolvenzgläubiger sind nur diejenigen Gläubiger, die zu der Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (§ 38 InsO); Massegläubiger (§ 53 InsO) hingegen sind keine Insolvenzgläubiger.

15

b) Masseforderungen, die nach den tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) in Form von Umsatzsteuerschulden im Streitfall vorliegen, nehmen deshalb an der Restschuldbefreiung nicht teil (vgl. BFH-Urteile vom 28.11.2017 –  VII R 1/16, BFHE 260, 26, BStBl II 2018, 457, Rz 13; vom 02.04.2019 –  IX R 21/17, BFHE 264, 109, BStBl II 2019, 481, Rz 15).

16

c) Eine analoge Anwendung des § 301 Abs. 1 InsO auf Masseforderungen ist weder aufgrund von Sinn und Zweck der Regelungen über die Restschuldbefreiung noch im Hinblick auf das Leistungsfähigkeitsprinzip (Art. 3 des Grundgesetzes –GG–) geboten (ausführlich BFH-Urteil vom 28.11.2017 –  VII R 1/16, BFHE 260, 26, BStBl II 2018, 457, Rz 15 ff., m.w.N. auch aus dem Schrifttum; ebenso BFH-Urteil vom 02.04.2019 –  IX R 21/17, BFHE 264, 109, BStBl II 2019, 481, Rz 15).

17

3. Der Kläger hat allerdings den im Streit stehenden Gesamtbetrag an Steuern und steuerlichen Nebenleistungen ohne rechtlichen Grund im Sinne des § 37 Abs. 2 AO an das FA gezahlt, weil seine Nachhaftung auf die Masse beschränkt ist.

18

a) Eine Steuer wird auch dann ohne rechtlichen Grund gezahlt, wenn sie (unter Protest) beglichen wird, ihrer Geltendmachung indes eine dauerhafte Einrede entgegensteht (vgl. BFH-Urteil vom 10.11.2015 –  VII R 35/13, BFHE 252, 201, BStBl II 2016, 372, Rz 15 zur beschränkten Erbenhaftung; vgl. hierzu bereits auch BFH-Urteil vom 28.04.1992 –  VII R 33/91, BFHE 168, 206, BStBl II 1992, 781).

19

aa) Als solche Einrede kommt eine Beschränkung der Nachhaftung des Insolvenzschuldners für Masseverbindlichkeiten in Betracht.

20

(1) Der Bundesgerichtshof (BGH) betont in ständiger Rechtsprechung, dass sich die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach § 80 InsO nur auf das zu der Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Schuldners erstreckt (BGH-Urteile vom 25.11.1954 –  IV ZR 81/54, Neue Juristische Wochenschrift –NJW– 1955, 339; vom 16.02.1961 –  III ZR 71/60, BGHZ 34, 293; vom 24.09.2009 –  IX ZR 234/07, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR– 2010, 185; vom 28.01.2021 –  IX ZR 54/20, HFR 2021, 508, Rz 17). Aufgrund der beschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters sei die Haftung des Insolvenzschuldners für solche Verbindlichkeiten, welche erst der Insolvenzverwalter aufgrund seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis begründet hat, auf diejenigen Gegenstände beschränkt, die zu der Insolvenzmasse gehören. Eine Haftung des Schuldners mit seinem massefreien Vermögen könne der Insolvenzverwalter nicht begründen (BGH-Urteil vom 24.09.2009 –  IX ZR 234/07, HFR 2010, 185, Rz 14).

21

(2) Diese Beschränkung der Haftung des Schuldners und der Befugnisse des Insolvenzverwalters greift bereits während des Insolvenzverfahrens ein (BGH-Urteile vom 25.11.1954 –  IV ZR 81/54, NJW 1955, 339; vom 24.09.2009 –  IX ZR 234/07, HFR 2010, 185; vom 28.01.2021 –  IX ZR 54/20, HFR 2021, 508, Rz 18), besteht aber auch nach Beendigung des Insolvenzverfahrens fort (BGH-Urteile vom 28.01.2021 –  IX ZR 54/20, HFR 2021, 508, Rz 19; vom 24.09.2009 –  IX ZR 234/07, HFR 2010, 185, Rz 12).

22

(3) Soweit hingegen der Schuldner Masseverbindlichkeiten durch eigenes Handeln begründet hat, scheidet nach der Rechtsprechung des BGH eine Haftungsbeschränkung des Schuldners aus; Gleiches gilt für Masseverbindlichkeiten, deren Entstehung auf eine freie Entscheidung des Schuldners zurückzuführen ist (BGH-Urteil vom 28.01.2021 –  IX ZR 54/20, HFR 2021, 508, Rz 20, m.w.N.).

23

bb) Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung für Situationen wie im Streitfall an. Soweit Umsatzsteuerverbindlichkeiten allein auf Handlungen des Insolvenzverwalters beruhen, kommt eine Nachhaftung des (vormaligen) Insolvenzschuldners mit seinem insolvenzfreien Vermögen nicht in Betracht. Es liefe auf eine fremdbestimmte Haftung hinaus, wenn der Insolvenzschuldner für Masseverbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter der Masse während des Verfahrens kraft seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse nach § 80 Abs. 1 InsO wirksam aufgezwungen hat, nach Abschluss des Verfahrens mit dem insolvenzfreien Vermögen unbeschränkt einstehen müsste, ohne dass es für ein solches Einstehenmüssen hinreichende Anknüpfungspunkte in vorinsolvenzlicher Zeit (zum Beispiel durch eigenes Handeln oder durch eine eigene Entscheidung des Insolvenzschuldners) gibt. Eine in diesem Sinne fremdbestimmte Haftung ohne eigenen Verursachungsbeitrag wäre nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, vgl. hierzu etwa Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.05.1986 – 1 BvR 1542/84, BVerfGE 72, 155), sondern stünde auch mit dem in § 1 Satz 2 InsO formulierten Ziel eines wirtschaftlichen Neuanfangs des Insolvenzschuldners in unauflösbarem Konflikt.

24

cc) Das gefundene Ergebnis steht in solchen Fällen auch mit § 301 InsO (vgl. dazu unter II.2.) in Einklang. Dass § 301 InsO für Masseverbindlichkeiten nicht gilt, deutet darauf hin, dass auch der Gesetzgeber von einer von vornherein beschränkten Nachhaftung für Masseverbindlichkeiten ausgegangen ist. Dem Schuldner sollte ein Weg zur (vollständigen) Schuldbefreiung ermöglicht werden (vgl. BTDrucks 12/2443, S. 188). Ist die Nachhaftung für Masseverbindlichkeiten ohnehin auf die Masse beschränkt, müssen sie zur Erreichung dieses Ziels nicht in die Restschuldbefreiung einbezogen werden.

25

b) Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Unrecht entschieden, dass der Kläger für die als Masseverbindlichkeiten begründeten Umsatzsteuerschulden nach Abschluss des Insolvenzverfahrens uneingeschränkt einstehen muss. Sein Urteil ist deshalb aufzuheben.

26

aa) Das FG hat angenommen, dass nach dem BFH-Urteil vom 28.11.2017 –  VII R 1/16 (BFHE 260, 26, BStBl II 2018, 457) eine Haftungsbeschränkung für die im Streit stehenden Steuerschulden nicht in Betracht komme. Der BFH habe dies dort für Einkommensteuerschulden entschieden. Entscheidungserhebliche Unterschiede zwischen Einkommensteuer und Umsatzsteuer seien insoweit nicht ersichtlich.

27

bb) Dies ist aus den unter II.3.a genannten Gründen nicht der Fall.

28

(1) Der Kläger kam dem Zahlungsbegehren des FA am 23.09.2020 lediglich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung nach, die das FA durch Pfändung der Kontoverbindung des Klägers zu einem Kreditinstitut bereits begonnen hatte. Er hat unter anderem die Einrede der beschränkten Nachhaftung erhoben. Diese gilt auch für die –hier im Streit stehende– Zeit nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens.

29

(2) Die Einrede hat auch Erfolg; denn die vorliegend streitigen Masseverbindlichkeiten wegen Umsatzsteuer sind ausschließlich auf Handlungen des Insolvenzverwalters zurückzuführen. Der Insolvenzverwalter hat Umsätze ausgeführt, aber die Umsatzsteuer nicht an das FA abgeführt. Der Insolvenzschuldner hat weder in vorinsolvenzlicher Zeit noch während des Insolvenzverfahrens zum Entstehen der Steuerschuld, zu ihrer Höhe oder zur Nichtabführung an das FA beigetragen.

30

(3) Anders stellte sich die Situation beim BFH-Urteil vom 28.11.2017 –  VII R 1/16 (BFHE 260, 26, BStBl II 2018, 457) dar, so dass der Senat von diesem Urteil nicht abweicht.

31

Zwar haftete nach Auffassung des VII. Senats des BFH dort der Insolvenzschuldner nach Abschluss des Insolvenzverfahrens für Einkommensteuer, die dadurch entstanden war, dass der Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren Massevermögen verwertet hat (ausführlich BFH-Urteil vom 28.11.2017 –  VII R 1/16, BFHE 260, 26, BStBl II 2018, 457, Rz 26 ff.). Jedoch wurden in dem dortigen Streitfall mit der Verwertung der Masse (wie bei jeder Veräußerung von Betriebsvermögen) die stillen Reserven (oder stillen Lasten) der verwerteten Masse aufgedeckt, die bereits vor/bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Vermögen des Schuldners angelegt waren. Daher war die Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die mit der Verwertung durch den Insolvenzverwalter steuerwirksam aufgedeckt wurde, latent bereits in vorinsolvenzlicher Zeit vorhanden.

32

(4) Die Umsatzsteuer hingegen ist auf den einzelnen Umsatz bezogen (§ 1 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes –UStG–); eine „Steuerverstrickung“ von stillen Reserven, die in den Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens ruhen, ist ihr fremd. Zwar knüpft sie während des laufenden Insolvenzverfahrens –wie auch die Einkommensteuer, soweit Massegegenstände mit Gewinn veräußert werden– an Rechtshandlungen des Verwalters an, der als Partei kraft Amtes nach § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übernimmt (vgl. BFH-Urteil vom 24.09.1987 –  V R 196/83, BFHE 151, 99, BStBl II 1987, 873, unter II.a). Doch wäre die Haftung des Schuldners für als Masseverbindlichkeiten begründete Umsatzsteuerschulden im Streitfall nach Abschluss des Insolvenzverfahrens ausschließlich fremdbestimmt, während die Höhe der Steuer im BFH-Urteil vom 28.11.2017 –  VII R 1/16 (BFHE 260, 26, BStBl II 2018, 457) maßgeblich von der Wertentwicklung des Betriebsvermögens in der Zeit vor Insolvenzeröffnung abhing.

33

c) Der erkennende Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Nichtabführung der Umsatzsteuer nicht nur zu Wettbewerbsvorteilen der Masse gegenüber Unternehmern, die ihre Umsatzsteuer an den Fiskus abführen, geführt hat, sondern auch eine „rechtswidrige Handlung“ darstellt, durch die die finanziellen Interessen der Union im Sinne von Art. 325 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union beeinträchtigt werden und auf die daher effektive und abschreckende Sanktionen anzuwenden sind (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union –EuGH– Scialdone vom 02.05.2018 – C-574/15, EU:C:2018:295, Rz 44 ff.; s. dazu auch § 26a UStG).

34

Diese Beeinträchtigung der finanziellen Interessen der Union ist jedoch nicht dem Insolvenzschuldner oder den Leistungsempfängern (vgl. EuGH-Urteil HA.EN. vom 15.09.2022 – C-227/21, EU:C:2022:687) anzulasten, sondern dem Insolvenzverwalter, der die Umsatzsteuer zwar für den Staat eingenommen, aber nicht an ihn abgeführt hat. Die Umsatzsteuer steht materiell nicht dem Steuerpflichtigen oder seinen Gläubigern oder dem Insolvenzverwalter (als Vergütung) zu, sondern ist an den Staat weiterzuleiten, auch wenn sie zunächst (formal) an den Steuerpflichtigen gezahlt wird. Das Unionsrecht stünde daher einer nationalen Rechtsvorschrift und Rechtspraxis nicht entgegen, die –anders als das geltende Recht– der Befriedigung der Gläubiger der Umsatzsteuer in der Insolvenz einen Vorrang vor den Gläubigern anderer Forderungen einräumt (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Syndyk Masy Upadłości A vom 11.04.2024 – C-709/22, EU:C:2024:310, Rz 50; BFH-Beschluss vom 11.12.2024 –  XI R 1/22, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 37).

35

4. Die Sache ist spruchreif im Sinne der Stattgabe der Klage. Der angefochtene Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 Satz 2 AO) ist im tenorierten Umfang entsprechend dem Begehren des Klägers zu ändern (§ 100 Abs. 2 Satz 1 FGO). Der Kläger hat hinsichtlich der auf die Umsatzsteuer für 2008 bis 2010 samt Zinsen und Säumniszuschlägen geleisteten Zahlung, die er zur Abwendung der Zwangsvollstreckung an das FA entrichtet hat, einen Anspruch auf Erstattung. Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass dem Kläger insoweit keine Haftungsbeschränkung zusteht. Der Klage ist daher stattzugeben.

36

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Quelle: Bundesfinanzhof

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BFH zur Besteuerung der Erträge aus einem ausländischen Investmentfonds

Der BFH hatte zu entscheiden, ob im Anwendungsbereich des InvStG a. F. der Rückgriff auf die Vorschrift des § 39 AO gesperrt ist, weil das InvStG a. F. die Besteuerung der Anleger von Investmentvermögen und die Zurechnung von Erträgen des Investmentvermögens spezialgesetzlich ausgestaltet hat (Az. VIII R 18/22).

BFH, Beschluss VIII R 18/22 vom 01.07.2025

Leitsatz

  1. Ein Gebot der Fremdverwaltung des Inhalts, dass für die Anwendbarkeit der Regelungen des Investmentsteuergesetzes 2004 die Vermögensverwaltung durch den Fondsverwalter von jeglicher Einflussnahme des oder der Anleger frei sein muss, besteht nicht.
  2. Die Besteuerung nach dem Investmentsteuergesetz 2004 ist bei einem Privatanleger abschließend und vorrangig gegenüber einer Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24.10.2023 – VIII R 8/20, BFHE 282, 428, BStBl II 2025 S. 305). Dies schließt es auch aus, die Kapitalanlagen eines Fonds gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung dem Anteilseigner zuzuordnen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 24.08.2022 – 12 K 1540/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Gründe

I.

1

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wird im Jahr 2011 (Streitjahr) einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Er erzielte gewerbliche Beteiligungseinkünfte sowie Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und Kapitalvermögen.

2

Am …2007 legte die A S.A. mit Sitz in Luxemburg den Y Fonds (im Folgenden: Fonds) als Spezialinvestmentfonds nach luxemburgischem Recht in der Rechtsform eines Fonds commun de placement (ISIN: …) auf. Die A S.A. war vertraglich für die Verwaltung und Geschäftsleitung des Fonds verantwortlich. Sie schloss mit der C Bank S.A., ebenfalls mit Sitz in Luxemburg, einen Fondsmanagervertrag und beauftragte diese mit der Anlageverwaltung des Fonds. Die C Bank S.A. war ferner Verwahr-, Register- und Transferstelle sowie Zentralverwaltungsstelle des Fonds.

3

Der Fonds wurde als rechtlich unselbständiges Sondervermögen aus Wertpapieren und sonstigen Vermögenswerten sowie als Alternativer Investmentfonds für gemeinschaftliche Rechnung der Inhaber von Anteilen unter Beachtung des Grundsatzes der Risikostreuung gegründet. Nach dem luxemburgischen Aufsichtsrecht war er als Spezialfonds konzipiert, der sich an institutionelle, professionelle und andere sachkundige Anleger im Sinne des Art. 2 Abs. 1 des Luxemburger Gesetzes vom 13.02.2007 über spezialisierte Investmentfonds richtete und dessen Anteile auch von einem einzelnen Anleger gezeichnet werden konnten. Der Fonds investierte im Streitjahr fast ausschließlich in andere Investmentfonds, die die X SICAV selbst auflegte und am Kapitalmarkt vertrieb. Die auf der Fondsebene erzielten Erträge wurden thesauriert. Die Besteuerungsgrundlagen des Fonds wurden jährlich im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht. Am …2007 zeichnete der Kläger … Anteile zu je 100 € Anteilswert für insgesamt … €.

4

Wenn der Kläger den Erwerb oder den Verkauf eines Vermögensgegenstands für den Fonds befürwortete, füllte er ein Anlagevorschlagsformular aus und sandte dieses an einen Mitarbeiter der Fondsmanagerin. Auf dem Vorschlagsformular konnte die Fondsmanagerin ihre Zustimmung oder Ablehnung des Anlagevorschlags vermerken. Im Streitjahr wich die Fondsmanagerin von den Vorschlägen des Klägers nicht ab.

5

Für das Streitjahr erklärte der Kläger in Übereinstimmung mit den im Bundesanzeiger veröffentlichten Besteuerungsgrundlagen ausschüttungsgleiche Erträge in Höhe von insgesamt … € als Kapitalerträge ohne inländischen Steuerabzug. Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt –FA–) veranlagte den Kläger für das Streitjahr mit Einkommensteuerbescheid vom 19.03.2013 zunächst erklärungsgemäß.

6

Mit Schreiben vom 28.08.2015 unterrichtete der Kläger das FA über die Abwicklung der Transaktionen. Dabei gab er an, faktisch Einfluss auf die Verwaltung des Fonds genommen zu haben. Zudem teilte er die Besteuerungsgrundlagen vorsorglich unter Außerachtlassung der Regelungen des Investmentsteuergesetzes 2004 für den Fall mit, dass die faktische Einflussnahme entgegen seiner Auffassung zum Wegfall der Anwendbarkeit des Investmentsteuergesetzes 2004 führe. Gegen den Kläger wurde auf dieses Schreiben hin ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet.

7

Nach Auffassung des Finanzamts für Steuerfahndung und Steuerstrafsachen B (Steufa) war für den Fonds die Fondseigenschaft im Sinne des Investmentsteuergesetzes 2004 zu versagen. Im Bericht der Steufa vom 09.05.2018 heißt es für das Streitjahr unter anderem, dass ein Investmentvermögen ein von den Anlegern rechtlich und wirtschaftlich verselbständigtes, gepooltes Vermögen darstelle, das der gemeinsamen Kapitalanlage diene. Notwendige Voraussetzung für die Anerkennung des Investmentvermögens als eigenständig sei auch eine Abschirmung vom Vermögensverwaltungsrecht der Anleger. Die Voraussetzung der eigenständigen Verwaltung des Investmentvermögens ergebe sich aus der in § 1 Satz 2 des vormaligen Investmentgesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (InvG) niedergelegten Eigenständigkeit des gepoolten Vermögens. Nur wenn das Vermögen von der A S.A. verwaltet werde und von Einflussnahmen durch den Anleger abgeschirmt sei, werde die Kapitalanlagegesellschaft dem gesetzlichen Verwaltungsauftrag für ein verselbständigtes Vermögen gerecht (Grundsatz der Fremdverwaltung). Zwar lasse es § 16 InvG zu, dass Teile der Verwaltungstätigkeit unter bestimmten Voraussetzungen auf Dritte ausgelagert würden. Hierzu bedürfe es jedoch vertraglicher Vereinbarungen, einer maßgeblichen Qualifikation des Auslagerungsunternehmens sowie der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Eine faktische Übernahme der Portfolioverwaltung durch konkrete Einzelanweisungen der Anleger an die Kapitalanlagegesellschaft sei gesetzlich gerade nicht vorgesehen. Aus dieser Gesetzessystematik folge, dass die Verwaltungsbefugnis der Kapitalanlagegesellschaft nicht unterlaufen werden dürfe. Konkrete Einzelanweisungen des Anlegers seien nicht zulässig. Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse habe der Kläger nachhaltig in die Verwaltungsbefugnis der A S.A. als Kapitalanlagegesellschaft eingegriffen. Deren Verwaltungs- und Letztentscheidungsbefugnis sei nur formeller Art gewesen. Das Anlagevehikel „Y Fonds“ sei daher kein Investmentfonds, sondern eine Direktanlage, die mit Hilfe des Investmentsteuerrechts auf eine steuerliche Privilegierung in Gestalt der Steuerfreiheit thesaurierter Veräußerungsgewinne und von Gewinnen aus Termingeschäften abgezielt habe. Da kein Investmentfonds vorliege, finde das Investmentsteuergesetz 2004 keine Anwendung und die Erträge seien dem Kläger nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) unmittelbar zuzurechnen. Selbst wenn das Investmentsteuergesetz 2004 anzuwenden wäre, könne eine direkte Zurechnung der Erträge aus dem Fonds mit § 39 AO begründet werden, da ein faktisches Treuhandverhältnis angenommen werden könne. Für das Streitjahr seien vom Kläger dementsprechend weitere Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von insgesamt … € zu versteuern.

8

Das FA folgte der Rechtsauffassung der Steufa und erließ unter dem 02.07.2018 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in welchem es die Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes um … € auf … € erhöhte.

9

Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft E vom …2019 wurde das Strafverfahren gegen den Kläger gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt.

10

Gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr legte der Kläger Einspruch ein, welchen das FA mit Einspruchsentscheidung vom 12.06.2019 als unbegründet zurückwies.

11

Die hiergegen erhobene Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2023, 579 mitgeteilten Gründen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat entschieden, der Anwendung des Investmentsteuergesetzes 2004 habe die nachhaltige Einflussnahme des Klägers auf die Anlageentscheidungen des Fondsverwalters nicht entgegengestanden. Nach den für das Streitjahr einschlägigen Fassungen des Investmentsteuergesetzes und des Investmentgesetzes sei das Vorliegen einer Fremdverwaltung bei ausländischen Investmentfonds keine notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Investmentsteuergesetzes gewesen.

12

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Bundesrechts. Es meint, der Gesetzgeber habe den Fremdverwaltungsgrundsatz nicht explizit regeln müssen, da er sich aus der Grundsystematik der gesetzlichen Regelungen ergebe. Der Tatbestand der „gemeinschaftlichen Vermögensanlage auf Rechnung der Anleger“ setze eine Fremdverwaltung des Fondsvermögens voraus. Das Tatbestandsmerkmal der „gemeinschaftlichen Kapitalanlage“ in § 1 Satz 2 InvG decke sich mit den seit Einführung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften 1957 normierten Prinzipien. Auch bei Einführung der ab 2018 geltenden Rechtslage habe der Gesetzgeber nicht das Erfordernis gesehen, den Fremdverwaltungsgrundsatz als eigenständiges Tatbestandsmerkmal in das Investmentsteuergesetz oder das Kapitalanlagegesetzbuch aufzunehmen, da dieser bereits seit jeher der Investmentidee und der „gemeinschaftlichen Vermögensanlage auf Rechnung der Anleger“ innewohne. Steuere der Anleger die Verwaltung des Fondsvermögens durch konkrete Einzelanweisungen, die von der Verwaltungsgesellschaft umgesetzt würden, sei die aufsichtsrechtliche Verselbständigung des Vermögens nicht mehr gegeben.

13

Das FA beantragt, das Urteil des FG Köln vom 24.08.2022 – 12 K 1540/19 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

14

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

15

1. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

16

2. Das FG hat zu Recht entschieden, dass es sich bei der zu beurteilenden Fondsbeteiligung des Klägers um einen ausländischen Investmentanteil im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 des Investmentsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (InvStG 2004) handelt (dazu a). Ebenfalls zutreffend hat das FG die Voraussetzungen für eine von § 2 Abs. 1 InvStG 2004 abweichende Zurechnung der Fondserträge nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO verneint (dazu b).

17

a) Die zu beurteilende Fondsbeteiligung des Klägers erfüllte die Voraussetzungen eines ausländischen Investmentanteils im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 InvStG 2004.

18

aa) Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 InvStG 2004 erstreckt sich der Begriff der Investmentanteile im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 InvStG 2004 auch auf ausländische Investmentanteile im Sinne von § 2 Abs. 9 InvG. Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 9 InvG sind ausländische Investmentanteile Anteile an ausländischen Investmentvermögen im Sinne von § 2 Abs. 8 InvG, bei denen der Anleger verlangen kann, dass ihm gegen Rückgabe des Anteils sein Anteil an dem ausländischen Investmentvermögen ausgezahlt wird, oder bei denen der Anleger kein Recht zur Rückgabe der Anteile hat, aber die den Anteil ausgebende ausländische Investmentgesellschaft in ihrem Sitzstaat einer Aufsicht über Vermögen zur gemeinschaftlichen Kapitalanlage unterstellt ist (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 15.03.2021 –  I R 1/18, Betriebs-Berater –BB– 2021, 2337, Rz 21). Ausländische Investmentvermögen sind nach § 2 Abs. 8 Satz 1 InvG Investmentvermögen im Sinne des § 1 Satz 2 InvG, die dem Recht eines anderen Staates unterstehen.

19

bb) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

20

aaa) Nach den Feststellungen des FG hatte der Kläger, wie von § 2 Abs. 9 InvG vorausgesetzt, nach dem von ihm gezeichneten Angebot einen Anspruch auf Auszahlung seines Anteils am Fondsvermögen gegen Rückgabe seines Fondsanteils.

21

bbb) Der Fonds unterstand luxemburgischem Aufsichtsrecht und damit im Sinne von § 2 Abs. 8 Satz 1 InvG dem Recht eines anderen Staates. Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob hierfür ein ausländischer Sitzstaat des die Anteile ausgebenden Vermögensträgers maßgeblich ist (so BFH-Urteil vom 15.03.2021 –  I R 1/18, BB 2021, 2337, Rz 21; Köndgen in Berger/Steck/Lübbehüsen, 1. Aufl. 2010, InvG § 2 Rz 52) oder ob es darauf ankommt, dass sich die rechtliche Ausgestaltung des Vermögens und der Vertragsbedingungen, der Satzung, der Anlagebedingungen oder vergleichbaren Bestimmungen, nach denen sich das Rechtsverhältnis der Anleger zu dem Vermögen bestimmt, nach dem Recht eines anderen Staates oder eines seiner Gliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) richtet (so Rundschreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht –BaFin-vom 22.12.2008 – 14/2008 (WA), s. Anh. 7 zum Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen –BMF– vom 18.08.2009, BStBl I 2009, 931). Nach beiden Definitionen unterstand der Fonds luxemburgischem Recht. Nach den Feststellungen des FG hatte die A S.A., die den Fonds aufgelegt hatte, ihren Sitz in Luxemburg. Der Fonds wurde außerdem nach den Feststellungen des FG auf der Grundlage des luxemburgischen Spezialfondsgesetzes vom 13.02.2007 errichtet. Auch die Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und der A S.A. unterlagen dem luxemburgischen Recht; gleiches galt für den Fonds sowie die Rechtsbeziehungen zwischen den Anlegern, der Verwaltungsgesellschaft und der C Bank S.A. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

22

ccc) Der Fonds erfüllt auch die Voraussetzungen eines Investmentvermögens im Sinne des § 1 Satz 2 InvG. Bei dem Fonds handelte es sich um ein Vermögen zur gemeinschaftlichen Kapitalanlage, das nach dem Grundsatz der Risikomischung in Vermögensgegenstände im Sinne des § 2 Abs. 4 InvG angelegt war.

23

(1) Ein Vermögen zur gemeinschaftlichen Kapitalanlage setzt voraus, dass das Vermögen mehr als einen Anleger haben kann (so auch BaFin-Rundschreiben vom 22.12.2008 – 14/2008 (WA), s. Anh. 7 zum BMF-Schreiben vom 18.08.2009, BStBl I 2009, 931). Es muss sich um eine grundsätzlich zur gemeinschaftlichen Kapitalanlage geeignete Struktur handeln. Vom Begriff des ausländischen Investmentvermögens werden somit auch Vermögensmassen erfasst, die nur einen Anleger haben, sofern sie rechtlich mehr als einen Anleger haben könnten (Helios/Schmies, BB 2009, 1100, 1105; Berger in Berger/Steck/Lübbehüsen, 1. Aufl. 2010, InvStG § 1 Rz 39, m.w.N.). Ein Vermögen zur gemeinschaftlichen Kapitalanlage erfordert außerdem, dass das Vermögen durch einen von dem oder den Anlegern verschiedenen Fondsverwalter auf Rechnung des oder der Anleger verwaltet wird.

24

Diese Voraussetzungen waren im Streitfall nach den Feststellungen des FG erfüllt. Nach dem Verkaufsprospekt war eine Beteiligung von mehr als einem Anleger an dem Fonds möglich. Der Fonds als rechtlich unselbständiges Sondervermögen wurde außerdem durch die A S.A. beziehungsweise in deren Auftrag durch die C Bank S.A. als Fondsmanagerin auf Rechnung des Anlegers oder der Anleger verwaltet.

25

(2) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob ein ausländisches Sondervermögen nur dann als ausländisches Investmentvermögen angesehen werden kann, wenn das Vermögen zum Zwecke der Risikostreuung in mehr als drei Vermögensgegenständen mit unterschiedlichen Anlagerisiken angelegt ist und außerdem tatsächlich oder nach seinem objektiven Geschäftszweck unmittelbar zu mehr als 90 % des Nettoinventarwertes in die in § 2 Abs. 4 InvG einschließlich der in Nr. 8 bis 11 genannten Vermögensgegenstände angelegt oder auf eine solche Anlage ausgerichtet ist (so BaFin-Rundschreiben vom 22.12.2008 – 14/2008 (WA), s. Anh. 7 zum BMF-Schreiben vom 18.08.2009, BStBl I 2009, 931). Nach den Feststellungen des FG bestand das Vermögen des Fonds nahezu ausschließlich aus Investmentfondsanteilen als Vermögensgegenstände im Sinne von § 2 Abs. 4 Nr. 7 InvG an jeweils mehr als drei anderen in Luxemburg aufgelegten Y Fonds jeweils unterschiedlicher Risikoklasse. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

26

ddd) Weitergehende materielle Anforderungen an die Art und den Inhalt der Vermögensverwaltung durch die Kapitalanlagegesellschaft ergeben sich weder aus dem Wortlaut des § 1 Satz 2 InvG noch aus systematischen oder gesetzeshistorischen Erwägungen. Insbesondere lässt sich § 1 Satz 2 InvG kein Gebot der Fremdverwaltung des Inhalts, dass die Vermögensverwaltung durch den Fondsverwalter von jeglichen Einflussnahmen durch den oder die Anleger abgeschirmt sein müsse, entnehmen.

27

(1) Der Wortlaut des § 1 Satz 2 InvG spricht von einer „gemeinschaftlichen Kapitalanlage“. Aus diesem Begriff lassen sich keine Anforderungen an den Grad zulässiger Einflussnahmemöglichkeiten des Anlegers ableiten.

28

(2) In systematischer Hinsicht knüpft der Anwendungsbereich des Investmentsteuergesetzes an den Anwendungsbereich des Investmentgesetzes an. Das Investmentsteuergesetz 2004 war aufgrund der unmittelbaren Verweise auf die Vorschriften des Investmentgesetzes stets anwendbar, wenn ein Investmentvermögen im investmentaufsichtsrechtlichen Sinn vorlag (vgl. Brandis/Heuermann/Wenzel, 176. Ergänzungslieferung, April 2025, InvStG 2004 § 1 Rz 10). Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob aufgrund der Anknüpfung des Anwendungsbereichs des Investmentsteuergesetzes 2004 an das Investmentgesetz dem aufsichtsrechtlichen Begriffsverständnis einer „gemeinschaftlichen Kapitalanlage“ für das Steuerrecht zwingend zu folgen ist (so BMF-Schreiben vom 18.08.2009, BStBl I 2009, 931, Tz. 5). Nach der Definition der BaFin ist ein Vermögen zur „gemeinschaftlichen Kapitalanlage“ ein eigenständiges Vermögen, dessen objektiver Geschäftszweck hauptsächlich auf die Anlage und Verwaltung seiner Mittel für gemeinschaftliche Rechnung der Anteilsinhaber gerichtet ist (so BaFin-Rundschreiben vom 22.12.2008 – 14/2008 (WA), s. Anh. 7 zum BMF-Schreiben vom 18.08.2009, BStBl I 2009, 931). Zur Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen und zu unschädlichen oder schädlichen Einflussnahmemöglichkeiten der Anleger äußert sich die aufsichtsrechtliche Definition der BaFin nicht. Erst recht ergibt sich aus dieser kein Gebot der Fremdverwaltung im Sinne einer Abschirmung des Fondsvermögens vor jeglicher Einflussnahme der Anleger.

29

(3) Die Gesetzesmaterialien des Investmentmodernisierungsgesetzes vom 15.12.2003 (BGBl I 2003, 2676), durch die die im Streitfall anwendbaren Fassungen des Investmentgesetzes und des Investmentsteuergesetzes eingeführt wurden, lassen nicht den Schluss zu, dass der Gesetzgeber mit § 1 Satz 2 InvG materielle Anforderungen an die Art und den Inhalt der Vermögensverwaltung durch die Kapitalanlagegesellschaft regeln wollte. Das Investmentsteuergesetz 2004 trat an die Stelle der steuerlichen Regelungen des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften und des Auslandinvestment-Gesetzes. Der Gesetzgeber wollte die Änderungsrichtlinien 2001/107/EG und 2001/108/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.01.2002 zur Änderung der Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20.12.1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-Richtlinie) umsetzen und gleichzeitig in einem eigenständigen Investmentsteuergesetz die bisherigen steuerrechtlichen Regelungen im Investmentwesen im Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften und im Auslandinvestment-Gesetz zusammenfassen und modernisieren (BTDrucks 15/1553, S. 65). Das Investmentgesetz sollte durch die Legaldefinition des Begriffes „Investmentvermögen“ in § 1 Satz 2 InvG auch für die Regulierung neuer Anlagevehikel, die von dem Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften bisher nicht erfasst worden waren, geöffnet werden (BTDrucks 15/1553, S. 74). Ein Gebot der Fremdverwaltung wird weder in der Gesetzesbegründung des Investmentgesetzes noch des Investmentsteuergesetzes 2004 als Voraussetzung für die Annahme eines Investmentvermögens erwähnt. Vielmehr geht die Gesetzesbegründung von einem weiten Begriff des Investmentvermögens aus, der (nur) durch die im Investmentgesetz ausdrücklich geregelten Einschränkungen der Formen, die abschließende Aufzählung der Vermögensgegenstände und die Anlagegrenzen beschränkt werden sollte (BTDrucks 15/1553, S. 74).

30

Auch die Änderungsrichtlinie 2001/107/EG zur OGAW-Richtlinie, die in Abschn. III die Verpflichtungen der Fondsverwaltungsgesellschaften regelt, stellt keine Anforderungen an die Unabhängigkeit der Fondsverwaltung von Einflussnahmen der Anleger. Insbesondere in Abschn. III, Titel C, Art. 5h der Änderungsrichtlinie, der Grundsätze für Wohlverhaltensregeln der Verwaltungsgesellschaft formuliert, findet sich keine Regel, nach der eine Abschirmung der Fondsverwaltung von Einflüssen der Anleger sichergestellt sein müsste.

31

Auch die Gesetzesmaterialien zu späteren Gesetzesänderungen lassen nicht erkennen, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers nur solche Kapitalanlagen unter das Investmentgesetz und das Investmentsteuergesetz fallen sollten, die von jeglicher Einflussnahme der Anleger abgeschirmt sind. In seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2008 (BTDrucks 16/6739, S. 30) wies der Finanzausschuss darauf hin, Luxemburg habe sein Investmentrecht dahingehend geändert, dass Privatpersonen sich bereits ab einer Mindesteinlage von 1,25 Mio. € als alleinige Anleger an einem Spezialfonds beteiligen könnten. Derartige Fonds unterlägen mangels öffentlichen Vertriebs in Deutschland nicht der strengen deutschen Investmentaufsicht nach dem Investmentgesetz. Die Anleger könnten –vergleichbar einem Direktanleger– zumindest faktisch auf die Anlagepolitik ihres Fonds Einfluss nehmen und von den speziellen Besteuerungsregeln des Investmentsteuergesetzes 2004 profitieren. Auf Vorschlag des Finanzausschusses wurde daraufhin durch das Jahressteuergesetz 2008 vom 20.12.2007 (BGBl I 2007, 3150) § 18 Abs. 2a InvStG 2004 (später § 21 Abs. 2a InvStG) mit dem Ziel eingeführt, ungerechtfertigte Steuervorteile für sogenannte Millionärsfonds zu verhindern und eine steuerfreie Umschichtung von Portfolien nach Einführung der Abgeltungsteuer zu erschweren (vgl. Bäuml in Berger/Steck/Lübbehüsen, 1. Aufl. 2010, InvStG § 18 Rz 46). Diese Entwicklung zeigt, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch ausländische Ein-Anleger-Fonds, bei denen der Anleger Einfluss auf die für den Fonds getroffenen Anlageentscheidungen nehmen konnte, in den Anwendungsbereich des Investmentgesetzes und des Investmentsteuergesetzes 2004 fielen. Andernfalls hätte keine Veranlassung bestanden, diese Gestaltungen mit der Regelung in § 18 Abs. 2a InvStG 2004 einzudämmen.

32

eee) Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob und in welchen Ausnahmefällen es trotz eines vorhandenen institutionalisierten investmentrechtlichen Rahmens für das Sondervermögen an einer gemeinschaftlichen Kapitalanlage fehlen könnte, wenn der Anleger auf die täglichen Geschäfte des Fonds Einfluss nimmt. Im Schrifttum wird dies beispielsweise für den Fall diskutiert, dass dem oder den Anlegern vertraglich bindende Weisungsrechte hinsichtlich der Anlageentscheidungen zukommen oder die Anleger über einzelne Vermögensgegenstände des Fondsvermögens verfügen können (vgl. etwa Helios/Schober, BB 2023, 1623, 1626). Im Streitfall ist jedenfalls kein solcher Ausnahmefall gegeben. Nach den vertraglichen Vereinbarungen über die Errichtung und Verwaltung des Fonds oblagen die Anlageentscheidungen ausschließlich der A S.A. oder einem von dieser hinzugezogenen Fondsmanager. Weder aus dem Verkaufsprospekt noch aus dem Fondsmanagervertrag mit der C Bank S.A. ergaben sich Weisungs- oder Verfügungsrechte des Klägers als Anleger. Der Kläger war auch nicht faktisch in der Lage, der Fondsmanagerin Anlageentscheidungen bindend vorzugeben. Nach den Feststellungen des FG hatte der Kläger der Fondsmanagerin im Gegenteil reine Anlagevorschläge unterbreitet, an die diese weder vertraglich noch faktisch gebunden war. Der Umstand, dass den Anlagevorschlägen des Klägers gefolgt wurde, genügt nicht für die Annahme von durchsetzbaren Kontroll-, Weisungs- und Verfügungsrechten, die auf eine Eigenverwaltung des Sondervermögens durch den Kläger schließen ließen. Durch die Errichtung des Sondervermögens hatte der Kläger auch keinen Zugriff auf das Vermögen des Sondervermögens mehr, sondern unterlag den Vorgaben des luxemburgischen Investmentrechts und der konkreten Ausgestaltung der Möglichkeiten zur Anteilsrücknahme und Liquidation.

33

b) Schließlich kommt auch eine direkte Zuordnung der Vermögensgegenstände des Fondsvermögens zum Kläger und damit eine von § 2 Abs. 1 Satz 1 InvStG 2004 abweichende Zurechnung der Fondserträge nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht in Betracht. Die Besteuerung nach dem Investmentsteuergesetz 2004 ist bei einem Privatanleger abschließend und vorrangig gegenüber einer Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften (BFH-Urteil vom 24.10.2023 –  VIII R 8/20, BFHE 282, 428, BStBl II 2025, 305, Rz 23, 24). Dies steht auch einer Zuordnung der Kapitalanlagen des Fonds gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zum Kläger entgegen.

34

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Quelle: Bundesfinanzhof

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BFH: Rückwirkende Anwendung von § 6e EStG

Die rückwirkende Anwendung von § 6e EStG auf Wirtschaftsjahre, die vor dem 18.12.2019 enden, verstößt lt. BFH nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot (Az. IX R 13/24).

BFH, Urteil IX R 13/24 vom 15.07.2025

Leitsatz

Die rückwirkende Anwendung von § 6e des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf Wirtschaftsjahre, die vor dem 18.12.2019 enden (§ 52 Abs. 14a EStG), verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

Quelle: Bundesfinanzhof

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BFH zum Bankenprivileg bei einer Konzernfinanzierungsgesellschaft

Der BFH hat sich mit der Anwendung des gewerbesteuerlichen Bankenprivilegs auf Konzernfinanzierungsgesellschaft auseinandergesetzt (Az. III R 6/24).

BFH, Beschluss III R 6/24 vom 21.05.2025

Leitsatz

  1. Eine Konzernfinanzierungsgesellschaft kann durch das Bankenprivileg gemäß § 35c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e des Gewerbesteuergesetzes i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung begünstigt sein (Bestätigung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs).
  2. Ein gewerbsmäßiger Betrieb von Bankgeschäften im Sinne der Legaldefinition des Begriffs des Kreditinstituts in § 1 Abs. 1 Satz 1 des Kreditwesengesetzes (KWG) liegt vor, wenn er auf eine gewisse Dauer angelegt ist und die Bankgeschäfte mit der Absicht der Gewinnerzielung beziehungsweise entgeltlich betrieben werden.
  3. Für die Frage, ob Bankgeschäfte mit der Absicht der Gewinnerzielung beziehungsweise entgeltlich betrieben werden, kommt es auf das zivil- und aufsichtsrechtliche Verständnis des Merkmals „Gewerbsmäßigkeit“ in § 1 Abs. 1 KWG und nicht auf das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht im Sinne des § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes an.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 30.11.2023 – 10 K 2062/20 G wird als unbegründet zurückgewiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Anwendung des sogenannten Bankenprivilegs im Erhebungszeitraum 2012 (Streitjahr).

2

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, die im Streitjahr Teil des A-Konzerns war. Hinsichtlich ihres Unternehmensgegenstands und ihrer Steuerbilanz zum 31.12.2012 wird auf den Tatbestand des Urteils des Finanzgerichts (FG) Bezug genommen. Alleinige Anteilseignerin der Klägerin war die A Holding AG (A-Holding) mit Sitz in …

3

Laut Jahresabschlussbericht übertrug die Klägerin zu Beginn des Geschäftsjahres 2012 wesentliche Konzerndienstleistungen auf eine Schwestergesellschaft. Insoweit erzielte die Klägerin im Streitjahr keine Erlöse mehr, auch sonst hatte sie nach den Feststellungen des FG keine Ausgangsumsätze aus einer aktiven Tätigkeit. Die Klägerin war ab dem Streitjahr innerhalb des A-Konzerns für die Konzernfinanzierung zuständig und erbrachte gegenüber anderen Konzerngesellschaften Dienstleistungen im Bereich des Finanz- und Cash-Managements. Zudem hielt sie als Zwischenholding Beteiligungen an Konzerngesellschaften. Die zur Konzernfinanzierung zwischen der Klägerin und verschiedenen verbundenen Unternehmen abgeschlossenen Vereinbarungen sahen vor, dass jeweils bezogen auf denselben Betrachtungszeitraum Guthaben der Gesellschaften bei der Klägerin einem niedrigeren Zinssatz unterlagen als Kreditlinien, welche die Gesellschaften bei ihr in Anspruch nehmen konnten.

4

Die Klägerin erzielte im Streitjahr Zinserträge aus Darlehen gegenüber den verbundenen Unternehmen in Höhe von … € (Zinserträge und ähnliche Erträge insgesamt … €). Dem lagen laut ihrem vom FG in Bezug genommenen Jahresabschluss zum 31.12.2012 Forderungen aus der Konzernfinanzierung der Klägerin gegenüber verbundenen Unternehmen in Höhe von … € zugrunde. Die Zinsaufwendungen gegenüber verbundenen Unternehmen beliefen sich im Streitjahr auf … € (Zinsaufwendungen insgesamt … €), wobei Zinsaufwendungen von … € auf Darlehen zur Finanzierung des Erwerbs der Anteile an zwei Konzerngesellschaften über … € entfielen.

5

Laut dem Jahresabschluss betrugen die Verbindlichkeiten der Klägerin zum 31.12.2012 gegenüber verbundenen Unternehmen … € (darin enthalten nicht im Zusammenhang mit der Konzernfinanzierung stehende Darlehensverbindlichkeiten gegenüber der A-Holding in Höhe von … €). Als sonstige betriebliche Erträge erzielte die Klägerin im Streitjahr Devisenergebnisse aus realisierten Wechselkurseffekten in Höhe von … € und übrige Erträge in Höhe von … € aufgrund weiterberechneter Kosten. Die Klägerin war im Streitjahr Organträgerin einer ertragsteuerlichen Organschaft, über die ihr Erträge in Höhe von … € zugerechnet wurden.

6

Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt –FA–) den Gewerbesteuermessbetrag der Klägerin für das Streitjahr zunächst erklärungsgemäß festgesetzt hatte, änderte er den betreffenden Bescheid anschließend aus vorliegend nicht streitigen Gründen. Während einer Betriebsprüfung unter anderem für die Gewerbesteuer 2012 bis 2015 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 06.12.2016 –  I R 79/15 (BFHE 256, 199, BStBl II 2019, 173) und eine Verfügung der Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen die Anwendung des Bankenprivilegs. Dies wurde in der Betriebsprüfung mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin keine einem Kreditinstitut gleichzustellende Finanzierungsgesellschaft im Sinne der BFH-Rechtsprechung sei. Auch das FA gewährte der Klägerin das Bankenprivileg nicht.

7

Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das FG durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2024, 779 veröffentlichte Urteil vom 30.11.2023 – 10 K 2062/20 G teilweise statt. Es änderte den im Lauf des Klageverfahrens aus unstreitigen Gründen noch einmal geänderten Gewerbesteuermessbetragsbescheid für das Streitjahr vom 06.10.2023 unter Berücksichtigung des Bankenprivilegs dahingehend, dass bei den Hinzurechnungen nach § 8 Nr. 1 Buchst. a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zur Ermittlung des Gewerbeertrags als Entgelte für Schulden statt zuvor … € lediglich ein Betrag in Höhe von … € berücksichtigt wurde. Im Übrigen wies das FG die Klage ab.

8

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere von § 19 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung in der im Streitjahr anwendbaren Fassung (GewStDV a.F.). Zwar sei unstreitig, dass die Klägerin nach Maßgabe des Senatsurteils vom 30.11.2023 –  III R 55/20 (BFHE 283, 184, BStBl II 2024, 378) die Voraussetzungen des Aktivpostenvergleichs nach § 19 Abs. 2 GewStDV erfüllt habe. Nicht erfüllt sei jedoch die weitere Voraussetzung, dass ein Unternehmen vorliege, das bezogen auf die ausgeführten Bankgeschäfte gewerbsmäßig handle oder diese in einem Umfang betreibe, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordere.

9

Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung des FG-Urteils vom 30.11.2023 – 10 K 2062/20 G als unbegründet abzuweisen.

10

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

11

Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Auch nach dem Schriftsatz des FA vom 06.05.2025 hält der Senat eine mündliche Verhandlung weiterhin nicht für erforderlich.

12

Das FG hat der Klägerin als Konzernfinanzierungsgesellschaft im Streitjahr zu Recht das Bankenprivileg gewährt und demgemäß die vom FA vorgenommene Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG reduziert. Die Revision des FA ist unbegründet und deshalb nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.

13

1. a) Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer ist der Gewerbeertrag (§ 6 GewStG). Gewerbeertrag ist der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum (§ 14 GewStG) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge (§ 7 Satz 1 GewStG).

14

b) Nach § 8 Nr. 1 GewStG in der im Streitjahr geltenden Fassung wird dem Gewinn aus Gewerbebetrieb (§ 7 GewStG) ein Viertel der Summe aus den dort unter den Buchstaben a bis f benannten Aufwendungen hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind und soweit die Summe den Betrag von (damals) 100.000 € übersteigt. Hinzugerechnet wird dabei auch ein Viertel der Entgelte für Schulden (§ 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG).

15

Bei Kreditinstituten im Sinne des § 1 Abs. 1 des Kreditwesengesetzes (KWG) sind im Streitjahr nur Entgelte für Schulden und den Entgelten gleichgestellte Beträge anzusetzen, die dem Betrag der Schulden entsprechen, um den der Ansatz der zum Anlagevermögen gehörenden Grundstücke, Gebäude, Betriebs- und Geschäftsausstattung, Schiffe, Anteile an Kreditinstituten und sonstigen Unternehmen sowie der Forderungen aus Vermögenseinlagen als stiller Gesellschafter und aus Genussrechten das Eigenkapital überschreitet (§ 35c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e GewStG i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 1 GewStDV a.F.). Diese Begünstigung wird als Bankenprivileg bezeichnet (vgl. zu dessen Zweck die BFH-Urteile vom 23.08.2000 –  I R 98/96, BFHE 193, 144, BStBl II 2002, 207, unter II.A.3.a und vom 06.12.2016 –  I R 79/15, BFHE 256, 199, BStBl II 2019, 173, Rz 15 sowie das Senatsurteil vom 30.11.2023 –  III R 55/20, BFHE 283, 184, BStBl II 2024, 378, Rz 12). Nicht erforderlich war im Streitjahr 2012, dass das Kreditinstitut auch die Voraussetzungen des § 2 KWG erfüllt. Denn die Bezugnahme auch auf die dort geregelten Ausnahmen (vgl. insbesondere § 2 Abs. 1 Nr. 7 KWG) wurde in § 19 Abs. 1 Satz 1 GewStDV erst mit Wirkung ab dem Erhebungszeitraum 2021 eingefügt (§ 36 GewStDV in der Fassung vom 25.06.2020, BGBl I 2020, 1495).

16

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Konzernfinanzierungsgesellschaft nach der im Streitjahr geltenden Rechtslage durch das Bankenprivileg begünstigt sein kann; dies ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das BFH-Urteil vom 06.12.2016 –  I R 79/15 (BFHE 256, 199, BStBl II 2019, 173) und das Senatsurteil vom 30.11.2023 –  III R 55/20 (BFHE 283, 184, BStBl II 2024, 378) verwiesen.

17

c) Gemäß dem im Streitjahr anwendbaren § 19 Abs. 1 Satz 1 GewStDV a.F. kann ein Kreditinstitut im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG das Bankenprivileg in Anspruch nehmen. Nach der in dieser Vorschrift enthaltenen Legaldefinition sind Kreditinstitute Unternehmen, die Bankgeschäfte gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreiben, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Der Begriff der Bankgeschäfte ist in § 1 Abs. 1 Satz 2 KWG definiert.

18

2. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin im Streitjahr ein Unternehmen war, das Bankgeschäfte gewerbsmäßig betrieb, und dass sie auch die weiteren für die Gewährung des Bankenprivilegs notwendigen Kriterien erfüllte.

19

a) Die Einordnung der Konzernfinanzierungstätigkeit als Bankgeschäft begegnet keinen Bedenken. Bankgeschäfte sind insbesondere Kreditgeschäfte in Gestalt der Gewährung von Gelddarlehen und Akzeptkrediten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG). Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin im Streitjahr im A-Konzern die Funktion der Konzernfinanzierungsgesellschaft übernommen und für andere Konzerngesellschaften Dienstleistungen im Bereich des Finanz- und Cash-Managements erbracht. Insoweit reichte die Klägerin im Rahmen des für die Konzernfinanzierung eingerichteten Cash-Poolings unbedingt rückzahlbare Gelder an verschiedene mit ihr verbundene Unternehmen innerhalb des A-Konzerns aus. Das FG hat die zugrunde liegenden Vertragsvereinbarungen in nicht zu beanstandender Weise als Darlehensverträge und damit als Kreditgeschäft gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG eingeordnet. Danach lag bei der Klägerin im Streitjahr ein Betrieb von Bankgeschäften im Sinne des § 1 Abs. 1 KWG vor.

20

b) Im Ergebnis zu Recht hat das FG auch die Gewerbsmäßigkeit des Betriebs der Bankgeschäfte bejaht. Zwar hat das FG insoweit einen teilweise unzutreffenden Maßstab angelegt, indem es auf die ertragsteuerlichen Grundsätze des § 15 Abs. 2 EStG abgestellt hat. Da dieser rechtsfehlerhafte Maßstab jedoch strengere Anforderungen an die Gewerbsmäßigkeit stellt, ist die hierauf beruhende Entscheidung, dass bei der Klägerin im Streitjahr ein gewerbsmäßiger Betrieb von Bankgeschäften vorlag, im Ergebnis richtig (§ 126 Abs. 4 FGO).

21

aa) Bis zum Jahr 1997 war ein Kreditinstitut nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG a.F. nur anzunehmen, wenn der Umfang der betriebenen Bankgeschäfte einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erforderte. Erst seit dem Jahr 1998 genügt für den Begriff des Kreditinstituts insoweit alternativ auch der gewerbsmäßige Betrieb der Bankgeschäfte (vgl. BTDrucks 13/7142, S. 62 und Schwennicke, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht –WM– 2010, 542, 545 ff.).

22

bb) Bankgeschäfte werden nach der Begriffsbestimmung laut der Begründung des Gesetzentwurfs (BTDrucks 13/7142, S. 62, rechte Spalte oben) gewerbsmäßig betrieben, wenn der Betrieb auf eine gewisse Dauer angelegt ist und der Betreiber ihn mit der Absicht der Gewinnerzielung verfolgt (vgl. BFH-Urteil vom 06.12.2016 –  I R 79/15, BFHE 256, 199, BStBl II 2019, 173, Rz 18; Schäfer in Fischer/Schulte-Mattler, 6. Aufl. 2023, § 1 KWG, Rz 22). Hiervon ist das FG in Übereinstimmung mit der zivilrechtlichen und aufsichtsrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG zutreffend ausgegangen (vgl. BGH-Urteil vom 09.11.2010 –  VI ZR 303/09, Der Betrieb —DB– 2011, 230, Rz 27; BVerwG-Urteile vom 22.09.2004 – 6 C 29.03, BVerwGE 122, 29, unter II.2.b bb und vom 22.04.2009 – 8 C 2.09, BVerwGE 133, 358).

23

(1) Auf eine gewisse Dauer angelegt (vgl. dazu Schwennicke, WM 2010, 542, 546 f.) ist der Betrieb von Bankgeschäften jedenfalls dann, wenn er „auf unbestimmte Zeit“ angelegt ist (BGH-Urteil vom 09.11.2010 –  VI ZR 303/09, DB 2011, 230, Rz 27) oder wenn über einen mehrjährigen Zeitraum wiederholt gleichartige Darlehensverträge abgeschlossen werden, deren Durchführung auf einen längeren Zeitraum ausgelegt ist (BVerwG-Urteil vom 15.12.2010 – 8 C 37.09, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht 2011, 138, Rz 12). Das FG hat das Kriterium hiernach zu Recht mit der Begründung bejaht, dass die Klägerin auch noch im Urteilszeitpunkt die Funktion der Konzernfinanzierung innerhalb des A-Konzerns wahrgenommen hat.

24

(2) Nach der zu § 1 Abs. 1 KWG ergangenen zivil- und aufsichtsrechtlichen Rechtsprechung ist für die Gewerbsmäßigkeit –neben der Anlage auf gewisse Dauer– erforderlich, aber auch ausreichend, dass der „Betreiber mit Gewinnerzielungsabsicht beziehungsweise entgeltlich“ handelt (so BGH-Urteil vom 09.11.2010 –  VI ZR 303/09, DB 2011, 230, Rz 27; BVerwG-Urteil vom 22.09.2004 – 6 C 29.03, BVerwGE 122, 29, unter II.2.b bb; vgl. Schäfer in Fischer/Schulte-Mattler, 6. Aufl. 2023, § 1 KWG, Rz 22). Dieses Verständnis ist auch für die Auslegung des § 19 Abs. 1 Satz 1 GewStDV bezüglich des Merkmals des Kreditinstituts im Sinne des § 1 Abs. 1 KWG maßgeblich. Entgegen der Auffassung des FG kommt es in diesem Normkontext nicht auf die Gewinnerzielungsabsicht gemäß § 15 Abs. 2 EStG an. Während es im Bereich der Ertragsteuern darum geht, den nicht steuerbaren Privatbereich (Liebhaberei) von einer betrieblichen und damit steuerbaren Tätigkeit abzugrenzen (vgl. Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Rz 8.125), geht es im Bereich, für den das Kreditwesengesetz Regelungen enthält, vor allem darum zu bestimmen, welche Personen beziehungsweise Unternehmen unter die Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht fallen, bestimmte Auflagen zu erfüllen und Regeln einzuhalten haben (vgl. Freis-Janik in: Kümpel/Mülbert/Früh/Seyfried, Bankrecht und Kapitalmarktrecht, 7. Aufl. 2025, 2. Teil Bankaufsichtsrecht, Tz. 2.1 ff.). Die Auslegung des Begriffs „Gewerbsmäßigkeit“ hat daher auch dem letztgenannten Normzweck zu folgen.

25

(3) Obwohl das FG für die Gewerbsmäßigkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG zu Unrecht die Gewinnerzielungsabsicht gemäß § 15 Abs. 2 EStG für maßgeblich erachtet hat, ist die Bejahung der Gewerbsmäßigkeit nicht zu beanstanden, weil sie nach Maßgabe der Feststellungen des FG im Ergebnis richtig ist. Denn das FG hat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), dass nach den abgeschlossenen Vereinbarungen bezogen auf dieselben Zeiträume Guthaben bei der Klägerin niedriger verzinst waren als die von ihr gewährten Kreditlinien und dass die Klägerin somit aus den eigentlichen Bankgeschäften (ohne Berücksichtigung der Darlehen, die der Finanzierung der Anteilserwerbe dienten) im Streitjahr ein positives Ergebnis erzielte. Mit dem Rückgriff auf § 15 Abs. 2 EStG hat das FG höhere Anforderungen gestellt, als für den Begriff der Gewerbsmäßigkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 KWG geboten ist, und es hat die höheren Anforderungen als erfüllt angesehen. Da das Ergebnis zutreffend ist, ist das nicht zu beanstanden. Auch für die Gewerblichkeit im Sinne von § 15 Abs. 2 EStG würde es im Übrigen genügen, wenn die Gewinnerzielungsabsicht lediglich als ein Nebenzweck verfolgt wird (§ 15 Abs. 2 Satz 3 EStG); auf die vom FA zu Unrecht geforderte „Gewinnmaximierungsabsicht“ kommt es in beiden Bereichen nicht an. Aus diesem Grund ist es nicht rechtsfehlerhaft, dass das FG im Streitfall unentschieden gelassen hat, ob die Gewinnerzielungsabsicht (auch) aus dem Indiz der Marktüblichkeit der Zinssätze hätte abgeleitet werden können. Soweit der BFH im Urteil vom 06.12.2016 –  I R 79/15 (BFHE 256, 199, BStBl II 2019, 173, Rz 18) die Annahme der Gewinnerzielungsabsicht mit Blick auf die Marktüblichkeit der Zinssätze bestätigt hat, handelte es sich um eine einzelfallbezogene Sachverhaltswürdigung und nicht um die Formulierung eines zwingenden rechtsgrundsätzlichen Erfordernisses.

26

c) Die tatrichterliche Würdigung des FG, dass die Klägerin ihre Bankgeschäfte im Streitjahr in einem Umfang betrieben hat, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erforderte, ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden (vgl. Anhörungsschreiben vom 26.03.2025). Da es für die Zurückweisung der Revision des FA auf diese Tatbestandsalternative (vgl. BTDrucks 13/7142, S. 62) nicht ankommt, sieht der Senat insoweit von weiteren Ausführungen ab (vgl. § 126a Satz 3 Halbsatz 1 FGO).

27

d) Die Entscheidung, dass die Klägerin die Voraussetzungen des Aktivpostenvergleichs nach § 19 Abs. 2 GewStDV erfüllte, ist zwischen den Beteiligten unstreitig und lässt gleichfalls keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar lag dem FG bei seinem taggleichen Urteil das Senatsurteil vom 30.11.2023 –  III R 55/20 (BFHE 283, 184, BStBl II 2024, 378) noch nicht vor. Die Entscheidung des FG steht jedoch mit der Senatsrechtsprechung im Einklang.

28

3. Die Reduzierung der Schuldentgelte von … € auf … € steht ihrer Höhe nach zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Das FA hat in der Revisionsbegründung Einwendungen gegen die Gewährung des Bankenprivilegs nur dem Grunde nach, nicht aber der Höhe nach erhoben. Ein Rechtsfehler des FG bei der Berechnung ist auch nicht ersichtlich.

29

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Quelle: Bundesfinanzhof

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BFH zur Hinzurechnung von Zinsen auf Depotverbindlichkeiten im Retrozessionsgeschäft (§ 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG)

Der BFH entschied, dass Rückversicherungsunternehmen nicht der für bestimmte Erstversicherungsunternehmen geltenden Verpflichtung unterliegen, ein dem Zugriff Dritter entzogenes Sondervermögen zu bilden, und sich schon deshalb nicht auf die darauf gestützte Ausnahme von der Hinzurechnung der auf Bardepots gezahlten Zinsen bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags berufen können (Az. III R 32/22).

BFH, Pressemitteilung Nr. 54/25 vom 28.08.2025 zum Urteil III R 32/22 vom 21.05.2025

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 21.05.2025 – III R 32/22 – entschieden, dass Rückversicherungsunternehmen nicht der für bestimmte Erstversicherungsunternehmen geltenden Verpflichtung unterliegen, ein dem Zugriff Dritter entzogenes Sondervermögen zu bilden, und sich schon deshalb nicht auf die darauf gestützte Ausnahme von der Hinzurechnung der auf Bardepots gezahlten Zinsen bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags berufen können. Eine allgemeine, dem sog. Bankenprivileg (§ 35c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e GewStG i. V. m. § 19 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung) vergleichbare Ausnahme von § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG gibt es für Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen nicht.

Die Klägerin war im Streitjahr als Rückversicherer tätig. Die von ihr übernommenen Risiken gab sie zum Teil in Retrozession. Dazu schloss die Klägerin Rückversicherungsverträge ab und zahlte den Retrozessionaren Zinsen auf Depotverbindlichkeiten. Das Finanzamt erfasste die Zinsen als Entgelte für Schulden und rechnete sie gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG dem Gewinn der Klägerin in Höhe von einem Viertel hinzu. Die Klage der Klägerin wurde abgewiesen, ihre Revision hatte keinen Erfolg.

Der BFH urteilte, dass keiner der von der Klägerin vorgetragenen Umstände einer teilweisen Hinzurechnung der von ihr gezahlten Zinsen auf Depotverbindlichkeiten entgegenstehe. Insbesondere könne sich die Klägerin schon mangels eines von ihr gebildeten Sondervermögens nicht auf eine für bestimmte Erstversicherungsunternehmen in Betracht zu ziehende Ausnahme zur gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Zinsen berufen. Eine allgemeine, dem sog. Bankenprivileg (§ 35c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e GewStG i. V. m. § 19 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung) vergleichbare Ausnahme von § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG gebe es für Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen nicht. Entgegen der Auffassung der Klägerin gebe es auch keinen allgemeinen (ungeschriebenen) Rechtsgrundsatz, dass bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags steuerliche Doppelbelastungen zu vermeiden seien. Es habe sich auch nicht um durchlaufende Kredite gehandelt. Eine Saldierung mit erhaltenen Zinsen auf Depotforderungen komme nicht in Betracht. Ein mit dem Cash-Pooling vergleichbarer Fall liege nicht vor. Die Rechtsprechung zur Bewertungseinheit oder zu Swaps sei nicht einschlägig.

Quelle: Bundesfinanzhof

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BFH: Erweiterte Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG und Drei-Objekt-Grenze bei En-bloc-Veräußerung einer Kapitalgesellschaft

Veräußert eine Kapitalgesellschaft im dritten Jahr nach dem Erwerb fünf Mehrfamilienhaus-Grundstücke durch einen Verkaufsakt an einen Erwerber, wird durch die Drei-Objekt-Grenze ein für die erweiterte Kürzung schädlicher gewerblicher Grundstückshandel indiziert. Dies entschied der BFH (Az. III R 12/22).

BFH, Urteil III R 12/22 vom 03.06.2025

Leitsatz

  1. Veräußert eine Kapitalgesellschaft im dritten Jahr nach dem Erwerb fünf Mehrfamilienhaus-Grundstücke durch einen Verkaufsakt an einen Erwerber („en bloc“), wird durch die Drei-Objekt-Grenze ein für die erweiterte Kürzung schädlicher gewerblicher Grundstückshandel indiziert.
  2. Für die Beantwortung der Frage, ob die Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft den Rahmen der bloßen Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes im Sinne des § 9 Nr. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes überschreitet, kommt es auf das Kriterium der Nachhaltigkeit im Sinne des § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes nicht an.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 18.01.2022 – 8 K 8008/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

I.

 

1

Die Beteiligten streiten über die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) im Erhebungszeitraum 2018 (Streitjahr).

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine in einen Immobilienkonzern (X-Gruppe) eingegliederte GmbH, die als XZ GmbH im Jahr 2016 gegründet wurde. Die Geschäftsführer der Klägerin waren auch die Geschäftsführer der Holdinggesellschaft, der Alleingesellschafterin der Klägerin. Eingetragener Geschäftsgegenstand der Klägerin war nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) unter anderem die Verwaltung eigenen Vermögens, der Erwerb von Immobilien und die Übernahme von Beteiligungen an anderen Unternehmen.

3

Mit notariellem Vertrag vom 26.07.2016 erwarb die Klägerin als „Käufer 2“ die folgenden in … belegenen Grundstücke:

A-Straße … … €
B-Straße … … €
C-Straße … … €
D-Straße … … €
E-Straße … … €
Gesamtkaufpreis … €

4

Neben der Klägerin erwarben zugleich andere Gesellschaften der X-Gruppe weiteren Grundbesitz von den Verkäuferinnen. Die Grundstücke waren jeweils mit mehrstöckigen Mehrfamilienhäusern bebaut und vermietet. Die Klägerin finanzierte ihren Erwerb mittels eines Darlehens mit zehnjähriger Laufzeit über einen Betrag von … € und im Übrigen durch Eigenmittel.

5

Mit notariellem Vertrag vom 29.08.2018 veräußerte die Klägerin die fünf von ihr erworbenen Grundstücke an die Y GmbH, eine Objektgesellschaft des Konzerns:

A-Straße … … €
B-Straße … … €
C-Straße … … €
D-Straße … … €
E-Straße … … €
Gesamtverkaufspreis … €

6

Mit gleicher Urkunde veräußerten auch weitere Objektgesellschaften der X-Gruppe Grundbesitz an die Y GmbH (insgesamt 29 Grundstücke zu einem Gesamtverkaufspreis von … €). Der Übergang von Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten der von der Klägerin veräußerten Grundstücke erfolgte bei vier Objekten am 15.11.2018 und bei einem Objekt am 31.12.2018, 23:59 Uhr. Die Klägerin tilgte das Finanzierungsdarlehen vollständig. An die finanzierende Bank zahlte sie eine Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von … €.

7

Für das Streitjahr erklärte die Klägerin einen Gewinn in Höhe von … € und beantragte gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG die erweiterte Kürzung in Höhe von … €.

8

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt –FA–) erließ am 24.01.2020 einen Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für das Streitjahr und setzte ihn ohne Berücksichtigung von erweiterter oder einfacher Kürzung auf … € fest. Die Klägerin habe einen gewerblichen Grundstückshandel betrieben, der über den Rahmen der privaten Vermögensverwaltung hinausgegangen sei.

9

Den Einspruch der Klägerin wies das FA zurück (Einspruchsentscheidung vom 16.12.2020). Die hiergegen gerichtete Klage wies das FG Berlin-Brandenburg durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 706 veröffentlichte Urteil als unbegründet zurück.

10

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG.

11

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 18.01.2022 – 8 K 8008/21 aufzuheben und den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2018 vom 24.01.2020 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.12.2020 dahingehend zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag auf 0 € festgesetzt wird.

12

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

13

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin die erweiterte Kürzung im Streitjahr zu versagen ist, weil ihre Tätigkeit gewerblichen Charakter hatte und sich nicht mehr als Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes darstellte. Die antragsunabhängige einfache Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes in seiner im Streitjahr anwendbaren Fassung (GewStG a.F.) kann der Klägerin im Revisionsverfahren nicht mehr gewährt werden; auch eine Urteilsaufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG kommt insoweit nicht in Betracht.

14

1. Die Voraussetzungen der sogenannten erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bei einer Kapitalgesellschaft sind durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Wesentlichen bereits geklärt.

15

a) Eine Kapitalgesellschaft wie die Klägerin unterliegt nach § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GewStG kraft ihrer Rechtsform der Gewerbesteuer. Gemäß § 6 i.V.m. § 7 GewStG ist die Besteuerungsgrundlage ihr Gewerbeertrag, das heißt ihr nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des Körperschaftsteuergesetzes ermittelter Gewinn, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG genannten Hinzurechnungs- und Kürzungsbeträge (vgl. Senatsurteil vom 23.03.2023 –  III R 49/20, BFHE 280, 293, BStBl II 2024, 126, Rz 11).

16

b) In § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG ist die sogenannte einfache Kürzung geregelt. Gemäß dem bis zum Erhebungszeitraum 2024 anwendbaren § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG a.F. wurde die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 1,2 % des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden Grundbesitzes gekürzt. Nach der erweiterten Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG tritt an die Stelle der einfachen Kürzung auf Antrag bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen errichten und veräußern, die Kürzung um den Teil des Gewerbeertrags, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt.

17

c) Notwendige Voraussetzung für ein Grundstücksunternehmen im Sinne des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG ist, dass die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes nicht den Rahmen bloßer Vermögensverwaltung überschreitet. Bloße Vermögensverwaltung ist (noch) gegeben, wenn der Erwerb von Grundstücken lediglich den Beginn und die spätere Veräußerung das Ende einer grundsätzlich auf Fruchtziehung gerichteten Tätigkeit darstellt, also kein gewerblicher Grundstückshandel vorliegt (vgl. BFH-Urteil vom 18.05.1999 –  I R 118/97, BFHE 188, 561, BStBl II 2000, 28, unter II.2.b). Hingegen ist die erweiterte Kürzung ausgeschlossen, wenn die Verwaltung oder Nutzung des eigenen Grundbesitzes die Grenzen zur Gewerblichkeit überschreitet (BFH-Urteile vom 17.01.2006 –  VIII R 60/02, BFHE 213, 5, BStBl II 2006, 434, unter II.1.c aa; vom 25.05.2023 –  IV R 33/19, BFHE 280, 320, BStBl II 2023, 927, Rz 45). Die Grenze zur Gewerblichkeit wird überschritten, wenn nach dem Gesamtbild der Betätigung und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung die Ausnutzung substanzieller Vermögenswerte durch Umschichtung gegenüber der Nutzung von Grundbesitz im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten (zum Beispiel durch Vermietung) entscheidend in den Vordergrund tritt (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 10.12.2001 – GrS 1/98, BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291, unter C.III.1.). Anders ausgedrückt wird die Grenze von der Vermögensverwaltung zur Gewerblichkeit überschritten, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten, die der Tätigkeit als Ganzes das Gepräge einer gewerblichen Betätigung geben, hinter der die eigentliche Gebrauchsüberlassung in den Hintergrund tritt (BFH-Urteil vom 30.10.2024 –  IV R 19/22, BFH/NV 2025, 271, Rz 37 f.).

18

d) Nach der typisierenden Drei-Objekt-Grenze kann von einem gewerblichen Grundstückshandel ausgegangen werden, wenn innerhalb eines engen zeitlichen Zusammenhangs von in der Regel fünf Jahren (zwischen der Anschaffung oder Errichtung und dem Verkauf) mindestens vier Objekte veräußert werden. Solche Veräußerungen lassen typischerweise darauf schließen, dass es dem Steuerpflichtigen auf die Ausnutzung substanzieller Vermögenswerte durch Umschichtung ankommt (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 10.12.2001 – GrS 1/98, BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291, unter C.III.2. mit Verweis unter anderem auf BFH-Urteil vom 09.12.1986 –  VIII R 317/82, BFHE 148, 480, 483, BStBl II 1988, 244; vgl. auch C.III.5. mit Verweis auf Beschluss des Großen Senats des BFH vom 03.07.1995 – GrS 1/93, BFHE 178, 86, BStBl II 1995, 617, unter C.II.2.). Objekte im Sinne der Drei-Objekt-Grenze zur Abgrenzung einer privaten Vermögensverwaltung vom gewerblichen Grundstückshandel können nicht nur Ein- und Zweifamilienhäuser und Eigentumswohnungen, sondern auch Mehrfamilienhäuser und Gewerbebauten sein (BFH-Urteile vom 18.05.1999 –  I R 118/97, BFHE 188, 561, BStBl II 2000, 28 und vom 15.03.2000 –  X R 130/97, BFHE 191, 360, BStBl II 2001, 530; vgl. auch BFH-Urteil vom 05.05.2011 –  IV R 34/08, BFHE 234, 1, BStBl II 2011, 787).

19

e) Durch die Überschreitung der Drei-Objekt-Grenze wird die bereits im Zeitpunkt des Erwerbs oder des Baubeginns vorliegende innere Tatsache der bedingten Veräußerungsabsicht indiziert (vgl. BFH-Urteil vom 28.10.2015 –  X R 22/13, BFHE 251, 369, BStBl II 2016, 95, Rz 23; zu der dem FG als Tatsacheninstanz obliegenden Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände vgl. BFH-Urteil vom 27.06.2018 –  X R 26/17, BFH/NV 2018, 1255, Rz 26). Die dadurch indizierte bedingte Veräußerungsabsicht kann nur durch objektive Umstände widerlegt werden, nicht hingegen durch bloße Erklärungen des Steuerpflichtigen über seine Absichten (Senatsurteile vom 17.12.2009 –  III R 101/06, BFHE 228, 65, BStBl II 2010, 541; vom 27.09.2012 –  III R 19/11, BFHE 240, 278, BStBl II 2013, 433).

20

2. Noch nicht geklärt ist durch die bisherige Rechtsprechung, ob beziehungsweise inwieweit eine Überschreitung der Drei-Objekt-Grenze bei einer nur kraft ihrer Rechtsform gewerbesteuerpflichtigen Gesellschaft nicht nur eine bedingte Veräußerungsabsicht, sondern auch die Überschreitung des für die erweiterte Kürzung maßgeblichen Rahmens der Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes im Sinne des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG indizieren kann. Der BFH hat insbesondere noch nicht die im Streitfall relevante Frage entschieden, ob im Hinblick auf die erweiterte Kürzung auch bei einer Kapitalgesellschaft das Kriterium der Nachhaltigkeit gemäß § 15 Abs. 2 EStG in derselben Weise zu prüfen ist wie bei einem Personenunternehmen, wenn für dieses zu entscheiden ist, ob es originär gewerblich tätig ist. Diese Frage ist, wie das FG zu Recht entschieden hat, zu verneinen (a.A. Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG, 11. Aufl., § 9 Nr. 1 Rz 22d).

21

a) § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG will den nur kraft ihrer Rechtsform gewerbliche Einkünfte erzielenden Unternehmen die erweiterte Kürzung gewähren, wenn sie ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen, ihre Tätigkeit insoweit also nicht über den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung hinausgeht (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25.09.2018 – GrS 2/16, BFHE 263, 225, BStBl II 2019, 262, Rz 91, vgl. zur Historie Rz 92 ff., 101 ff.). Der Regelungszweck der erweiterten Kürzung besteht darin, die Erträge aus der bloßen Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes zum Zwecke der Gleichbehandlung mit Steuerpflichtigen, die nur private Vermögensverwaltung betreiben, von der Gewerbesteuer freizustellen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25.09.2018 – GrS 2/16, BFHE 263, 225, BStBl II 2019, 262, Rz 96, m.w.N.). Im Hinblick auf diesen Regelungszweck erweist sich § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG im Ergebnis als eine am ursprünglichen gewerbesteuerrechtlichen Belastungsgrund ausgerichtete Korrektur einer darüber hinausgehenden allein rechtsformveranlassten Steuerbelastung, soweit die Regelung allein das Verwalten und Nutzen eigenen Grundbesitzes betrifft (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25.09.2018 – GrS 2/16, BFHE 263, 225, BStBl II 2019, 262, Rz 97).

22

b) Im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.03.2010 – 1 BvR 2130/09 (Neue Juristische Wochenschrift 2010, 2116, Rz 12) wurde die „einhellige Auffassung“ zum „Regelungsanliegen der Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG“ dahin beschrieben, die Gewerbesteuerbelastung der nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG kraft ihrer Rechtsform gewerbesteuerpflichtigen Kapitalgesellschaften derjenigen von Einzelunternehmen oder Personengesellschaften anzunähern, die sich nur mit der Verwaltung von Grundvermögen befassen und damit nicht der Gewerbesteuer unterliegen. Der Begriff der Annäherung bringt zum Ausdruck, dass die Vorschrift keine uneingeschränkte Gleichbehandlung bewirken kann. Die nur eingeschränkte Gleichbehandlung erklärt sich bereits dadurch, dass die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG eine rechtsformbedingte Ungleichbehandlung der Kapitalgesellschaft gegenüber einer natürlichen Person oder einer Personengesellschaft anordnet und die Gleichstellung bei der erweiterten Kürzung nur in dem durch § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG ausdrücklich angeordneten Umfang erfolgt (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 26.02.2014 –  I R 47/13, BFH/NV 2014, 1395, Rz 23, das im Fall der unterjährigen Veräußerung des einzigen gehaltenen Grundstücks nicht zu einer Gleichstellung einer Kapitalgesellschaft mit einer natürlichen Person führt, s.a. 3. NV-Leitsatz).

23

c) Die Abgrenzung, ob (noch) eine Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes im Sinne von § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG gegeben ist, hat anhand der Kriterien zu erfolgen, welche die Rechtsprechung für die als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Gewerbebetriebs gemäß § 15 Abs. 2 EStG verstandene Voraussetzung entwickelt hat, dass „keine private Vermögensverwaltung“ vorliegt (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25.06.1984 – GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C.III.3.b aa; BFH-Urteil vom 30.11.2023 –  IV R 10/21, BFHE 282, 300, Rz 24). Dieses Negativmerkmal beinhaltet die auch im Rahmen des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG maßgebliche Abgrenzung, ob nach dem Gesamtbild der Betätigung und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung die Ausnutzung substanzieller Vermögenswerte durch Umschichtung gegenüber der Nutzung der Vermögenswerte im Sinne einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten entscheidend in den Vordergrund tritt (vgl. BFH-Urteil vom 30.11.2023 –  IV R 10/21, BFHE 282, 300, Rz 31 mit Verweis auf den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 10.12.2001 – GrS 1/98, BFHE 197, 240, BStBl II 2002, 291, unter C.III.1.). Auf eben diese Abgrenzung kommt es im Bereich der erweiterten Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bei der Frage, ob die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes den Rahmen der bloßen Vermögensverwaltung wahrt oder verlässt, entscheidend an (s. dazu oben II.1.c).

24

d) Das für das Vorliegen eines Gewerbebetriebs im Sinne des § 15 Abs. 2 EStG bei einem Personenunternehmen notwendige Merkmal der Nachhaltigkeit der Betätigung ist demgegenüber bei einer Kapitalgesellschaft auch auf der Ebene des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG keine notwendige Voraussetzung dafür, dass der Rahmen der bloßen Vermögensverwaltung überschritten sein kann.

25

aa) In den Kapitalgesellschaften als Klägerinnen betreffenden bisherigen BFH-Entscheidungen zur erweiterten Kürzung wurde die Relevanz oder Irrelevanz der Nachhaltigkeit noch nicht eindeutig geklärt.

26

(1) Im Urteil vom 18.05.1999 –  I R 118/97 (BFHE 188, 561, BStBl II 2000, 28) war die Frage der Nachhaltigkeit jedenfalls nicht entscheidungserheblich. Die Ausführungen des I. Senats des BFH unter II.2.a dieses Urteils könnten zwar so verstanden werden, dass sämtliche Merkmale eines Gewerbebetriebs gemäß § 15 Abs. 2 EStG erfüllt sein müssen und somit auch die Nachhaltigkeit im Sinne der Legaldefinition gegeben sein muss, um den Rahmen der bloßen Grundbesitzverwaltung und -nutzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG zu überschreiten. Unter II.2.b stellte der I. Senat bei der diesbezüglichen Abgrenzung allerdings darauf ab, dass ein gewerblicher Grundstückshandel anzunehmen sei, wenn die Umschichtung von Vermögenswerten und deren Verwertung als Vermögenssubstanz entscheidend in den Vordergrund treten.

27

(2) Auch in dem späteren Urteil vom 05.03.2008 –  I R 56/07 (BFH/NV 2008, 1359, unter II.2.a), das ebenfalls die erweiterte Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG betraf, hat der I. Senat des BFH im Hinblick auf den Betrieb eines Schwimmbads eine Tätigkeit bejaht, die einen „gewerblichen Charakter“ aufweise, und dabei ausdrücklich hervorgehoben, dass er in diesem Kontext nicht sämtliche Begriffsmerkmale der einkommensteuerrechtlichen Legaldefinition des § 15 Abs. 2 EStG für notwendig erachtet („ohne dass es insoweit entscheidend ist, ob mit dieser Tätigkeit alle Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 EStG erfüllt sind“).

28

bb) In Übereinstimmung mit dem FG geht der erkennende Senat davon aus, dass der Rahmen bloßer Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes bei einer einmaligen En-bloc-Veräußerung von Grundbesitz in einer für die erweiterte Kürzung schädlichen Weise unabhängig davon überschritten sein kann, ob insofern auch eine nachhaltige gewerbliche Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 2 EStG vorliegt (vgl. zu diesem Merkmal im Fall der Veräußerung an nur einen Erwerber die BFH-Urteile vom 07.10.2004 –  IV R 27/03, BFHE 208, 147, BStBl II 2005, 164, unter 2.; vom 22.07.2010 –  IV R 62/07, BFH/NV 2010, 2261, Rz 36 ff.; vom 22.04.2015 –  X R 25/13, BFHE 250, 55, BStBl II 2015, 897, Rz 21 ff.).

29

(1) Dafür, dass das In-den-Vordergrund-Treten der von Anfang beabsichtigten Veräußerung genügt, um nicht mehr eine bloße Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes im Sinne der Fruchtziehung (zum Beispiel durch Vermietung) annehmen zu können, spricht der Normwortlaut des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG („Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder …“). Maßgeblich ist danach, ob der Rahmen der bloßen Vermögensverwaltung eingehalten ist. Bei der zeitnahen Veräußerung ein und derselben Anzahl von Objekten kann dieser Rahmen unabhängig von der Frage überschritten werden, ob die Objekte an einen oder mehrere Erwerber veräußert werden. Auf die Erwerberzahl oder die „Nachhaltigkeit der Veräußerung“ stellt der Wortlaut nicht ab.

30

(2) Die Gesetzessystematik spricht nicht gegen dieses Wortlautverständnis. Zum einen verweist § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht auf § 15 EStG und insbesondere auch nicht auf die Legaldefinition des einkommensteuerrechtlichen Begriffs des Gewerbebetriebs in § 15 Abs. 2 EStG. Zum anderen lässt sich auch aus § 9 Nr. 1 Satz 3 ff. GewStG kein Argument dafür ableiten, dass das Kriterium der Nachhaltigkeit im Fall der Grundbesitzveräußerung im Sinne eines grundsätzlich wiederholten, das heißt mindestens zweimaligen Verkaufs zu fordern wäre. Im Übrigen wurden in Bezug auf das Kriterium der Nachhaltigkeit im Einkommensteuerrecht von der BFH-Rechtsprechung wiederholt Ausnahme-Fallgruppen entwickelt, die auch in „Ein-Objekt-Fällen“ oder „Ein-Erwerber-Fällen“ zur Bejahung eines gewerblichen Grundstückshandels führen können (z.B. BFH-Urteile vom 22.04.2015 –  X R 25/13, BFHE 250, 55, BStBl II 2015, 897, Rz 25 ff.; vom 01.12.2005 –  IV R 65/04, BFHE 212, 106, BStBl II 2006, 259, unter II.2.b, und vom 28.04.2005 –  IV R 17/04, BFHE 209, 372, BStBl II 2005, 606, unter 2.d).

31

(3) Auch der Normzweck und die Normhistorie des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG sprechen nicht dagegen, bei einer Kapitalgesellschaft das Kriterium der Nachhaltigkeit bei der Abgrenzung der Grundbesitzverwaltung/-nutzung von der nicht mehr bloßen Vermögensverwaltung/-nutzung für verzichtbar zu halten. Denn wie oben ausgeführt (s. unter II.2.b) bezweckt die Vorschrift zwar eine Gleichstellung von Kapitalgesellschaften mit Personenunternehmen im Sinne einer gewerbesteuerrechtlichen Annäherung, nicht jedoch eine Gleichstellung im Sinne einer uneingeschränkten Gleichbehandlung.

32

(4) Hieraus folgt, dass das vom Gesetzeswortlaut nicht erfasste und nicht der Ebene der erweiterten Kürzung zuzurechnende Nachhaltigkeitskriterium auch aus teleologischen Gründen nicht in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG hineinzulesen ist (vgl. zu einer gewerblich geprägten Personengesellschaft gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG das BFH-Urteil vom 30.10.2024 –  IV R 19/22, BFH/NV 2025, 271, Rz 34 ff., s. dort insbesondere Rz 37 f. mit Verweis auf die BFH-Urteile vom 14.07.2016 –  IV R 34/13, BFHE 255, 12, BStBl II 2017, 175, Rz 36, und vom 25.05.2023 –  IV R 33/19, BFHE 280, 320, BStBl II 2023, 927, Rz 45). Die teleologische Extension des sachlichen Anwendungsbereichs der erweiterten Kürzung über den Wortlaut des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG hinaus kommt insoweit nicht in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 26.02.2014 –  I R 47/13, BFH/NV 2014, 1395, Rz 23).

33

e) Soweit das Überschreiten der Drei-Objekt-Grenze eine zumindest bedingte Veräußerungsabsicht von Anfang an indiziert, die aufgrund der Veräußerung von mehr als drei Objekten innerhalb von (regelmäßig) fünf Jahren offenbar geworden ist, wird somit zugleich die Überschreitung des Rahmens der bloßen Grundbesitzverwaltung und -nutzung indiziert. Dem steht aus den dargelegten Gründen nicht entgegen, dass das Überschreiten der Drei-Objekt-Grenze im Einkommensteuerrecht nicht auch die Nachhaltigkeit gemäß § 15 Abs. 2 EStG indiziert (vgl. BFH-Urteil vom 07.10.2004 –  IV R 27/03, BFHE 208, 147, BStBl II 2005, 164). Denn hierauf kommt es für die Versagung der erweiterten Kürzung wegen Veräußerung von Grundbesitz bei einer Kapitalgesellschaft nicht an. Eine im Hintergrund verbleibende, nur gelegentliche Grundbesitzveräußerung kann im Hinblick auf die erweiterte Kürzung bei einer größeren Anzahl von zeitnah veräußerten Objekten im Sinne der Drei-Objekt-Grenze unabhängig davon nicht mehr zu bejahen sein, an wie viele Erwerber die Veräußerung erfolgt. Für die erweiterte Kürzung ist bereits schädlich, wenn die Ausnutzung substanzieller Vermögenswerte durch Umschichtung entscheidend in den Vordergrund tritt und die Veräußerung auf diese Weise die Gesamttätigkeit als gewerbliche Betätigung prägt. Werden Grundstücke zeitnah nach dem Erwerb wieder veräußert, deutet dies auf einen Erwerb in Wiederveräußerungsabsicht und nicht auf einen Erwerb zur langfristigen Vermietung hin (vgl. Senatsurteil vom 12.12.2002 –  III R 20/01, BFHE 200, 388, BStBl II 2003, 297 zur Wiederveräußerung bereits nach zwei Jahren).

34

3. Nach diesen Grundsätzen kann der Klägerin die beantragte erweiterte Kürzung im Streitjahr nicht gewährt werden. Zwar stimmt der vom FG in seinem Urteil zugrunde gelegte Prüfungsmaßstab nicht in allen Teilbereichen mit der Rechtsauffassung des erkennenden Senats überein. Das FG hat im Ergebnis aber zu Recht entschieden, dass die Tätigkeit der Klägerin wegen der im Streitjahr erfolgten en-bloc-Veräußerung aller fünf im Jahr 2016 erworbenen Grundstücke den Rahmen bloßer Vermögensverwaltung überschritten hat. Das FG ist nach Maßgabe der Drei-Objekt-Grenze in zutreffender Weise von einem gewerblichen Grundstückshandel der Klägerin ausgegangen. Ob eine Nachhaltigkeit im Sinne des § 15 Abs. 2 EStG trotz der en-bloc-Veräußerung aller fünf Grundstücke an nur eine Erwerberin vorliegt, ist unerheblich für die Bejahung des Grundstückshandels der Klägerin, der gegenüber der nur kurzzeitigen Vermietung entscheidend in den Vordergrund getreten ist.

35

a) Das FG hat festgestellt, dass die Klägerin binnen eines kurzen Zeitraums von unter drei Jahren seit dem Erwerb fünf Objekte veräußert hat, und daraus seine Überzeugung abgeleitet, dass eine von Anfang an bestehende, zumindest bedingte Veräußerungsabsicht indiziert sei. Eindeutige Anhaltspunkte, die geeignet seien, diese zu widerlegen, lägen nicht vor. Die langfristige Finanzierung durch ein Darlehen mit zehnjähriger Laufzeit stelle keinen eindeutigen Anhaltspunkt dar, welcher der anfänglichen Veräußerungsabsicht entgegenstehe (Hinweis auf das Senatsurteil vom 12.12.2002 –  III R 20/01, BFHE 200, 388, BStBl II 2003, 297). Die Tatsache der Fremdfinanzierung sei nach der Überzeugung des Gerichts nicht gewichtig genug, um die diesbezügliche Vermutung zu widerlegen. Die Darlehensverpflichtung und die Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von … €, die weit unterhalb der schon im Erwerbszeitpunkt absehbaren Wertsteigerung der Objekte gelegen habe, hätten die Klägerin nicht ernsthaft an der Veräußerung gehindert. Die Zusammenfassung mehrerer Grundstücke in einer Objektgesellschaft (der Klägerin) spreche ebenfalls nicht gegen eine anfängliche bedingte Veräußerungsabsicht. Auch weitere gegen sie sprechende Indizien seien nicht ersichtlich. Insbesondere sei unerheblich, ob die Klägerin sich aktiv um Kaufinteressenten bemüht oder sich der Hilfe eines Maklers bedient habe, und ebenso, dass die Veräußerung in einem Vertragsdokument zusammengefasst worden sei. So wie das konkrete Veräußerungsmotiv die Indizwirkung der Drei-Objekt-Grenze nicht zu widerlegen vermöge, könne die Art des Zustandekommens des Kaufvertrages keine tragende Rolle spielen. Die indizierte bedingte Veräußerungsabsicht umfasse regelmäßig auch den Abschluss unverhoffter Gelegenheitsgeschäfte. Die von der Klägerin selbst vorgetragene gute Vernetzung ihrer Geschäftsführer in der Immobilienbranche mit weitreichenden Kontakten spreche nicht gegen, sondern für eine von Anfang an bestehende bedingte Veräußerungsabsicht. Selbst wenn eine besondere Branchennähe für sich genommen kein Indiz für die Veräußerungsabsicht sein sollte, sei ihr Fehlen jedenfalls kein Indiz dagegen; die Branchenkenntnis wäre in die Beurteilung schlicht nicht einzustellen. Es bleibe dann dabei, dass die Veräußerungsabsicht der Klägerin durch Überschreiten der Drei-Objekt-Grenze indiziert und nicht widerlegt sei. Der Umstand, dass die Klägerin alle Grundstücke in einem einzigen Akt veräußert habe, sage über ihre anfängliche Veräußerungsabsicht nichts aus und sei jedenfalls kein eindeutiger Anhaltspunkt, der die Indizwirkung der Drei-Objekt-Grenze zu widerlegen vermöge.

36

b) Die Würdigung des FG, dass aufgrund der zeitnahen Veräußerung nach Maßgabe der Drei-Objekt-Grenze ein gewerblicher Grundstückshandel vorlag und eine von Anfang bestehende bedingte Wiederverkaufsabsicht indiziert wurde, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

37

aa) Ob Tatsachen vorhanden sind, die das für gewerblichen Grundstückshandel sprechende Indiz der zeitnahen Veräußerung von mehr als drei Objekten widerlegen können, hat das FG jeweils im Einzelfall zu prüfen. Welche Tatsachen für eine Widerlegung geeignet sind und welches Gewicht ihnen für die Entscheidung des Streitfalls beizumessen ist, ist Gegenstand der Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG. Erscheint das vom FG aufgrund der festgestellten Tatsachen gewonnene Ergebnis zumindest als möglich, genügt dies, um einer revisionsgerichtlichen Prüfung standzuhalten (Senatsurteil vom 12.12.2002 –  III R 20/01, BFHE 200, 388, BStBl II 2003, 297, unter 2., m.w.N.; Senatsbeschluss vom 20.03.2025 –  III R 14/23, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt). Dies ist vorliegend der Fall.

38

bb) Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin die Voraussetzungen der erweiterten Kürzung im Streitjahr nicht erfüllt hat, weil sich ihre Tätigkeit nicht mehr als Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes darstellte, sondern bereits gewerblichen Charakter hatte. Nach den Feststellungen des FG war die Gesamttätigkeit der Klägerin von Beginn an primär auf die im Streitjahr vollzogene Vermögensumschichtung durch gewinnbringende Veräußerung ausgerichtet.

39

Die Klägerin hat die kurz nach ihrer Gründung erworbenen fünf eigenständigen Mehrfamilienhaus-Grundstücke bereits im dritten Jahr nach dem Erwerb schon wieder veräußert. Dies indiziert die anfängliche bedingte Veräußerungsabsicht der Klägerin. Das FG durfte von einer nicht mehr nur gelegentlichen Veräußerung von Grundbesitz ungeachtet dessen ausgehen, dass die Veräußerung aufgrund nur eines Vertrags an nur eine einzige Erwerberin („en bloc“) erfolgte. Der vergleichsweise kurze Zeitraum der Vermietung lässt nicht mehr auf eine im Vordergrund der Gesamttätigkeit der Klägerin stehende Fruchtziehung schließen, sondern legt eine von Beginn an intendierte Wiederveräußerung des nur kurze Zeit gehaltenen Grundbesitzes nahe. Das FG ist im Rahmen seiner Gesamtwürdigung daher zu Recht davon ausgegangen, dass die sowohl inhaltlich als auch zeitlich eng abgegrenzte Gesamttätigkeit der Objektgesellschaft nur den Schluss zulässt, dass die Klägerin ihren Grundbesitz nicht als längerfristige Erwerbsquelle der Fruchtziehung durch Wohnungsvermietung, sondern primär zur Umschichtung durch gewinnbringende Veräußerung zu nutzen beabsichtigte und so auch tatsächlich genutzt hat.

40

c) Ebenfalls zu Recht hat das FG entschieden, dass neben der Indizwirkung der Drei-Objekt-Grenze des gewerblichen Grundstückshandels nicht auch noch eine nachhaltige Tätigkeit gemäß § 15 Abs. 2 EStG vorliegen muss, um den Rahmen der bloßen Vermögensverwaltung als überschritten anzusehen. Denn auf die Nachhaltigkeit im Sinne des § 15 Abs. 2 EStG und die diesbezügliche BFH-Rechtsprechung kommt es bei der Klägerin als Kapitalgesellschaft auch im Kontext des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht an (s. dazu ausführlich II.2.d). Insbesondere kann deshalb dahinstehen, ob die vom FG getroffenen Feststellungen ausreichen würden, um hierüber zu entscheiden. Nicht entscheidungserheblich ist im vorliegenden Fall schließlich auch, dass der erkennende Senat die Rechtsauffassung des FG zur „konzerninternen Zurechnung“ einer generellen, über die Person der Klägerin hinausreichenden Wiederholungsabsicht innerhalb der X-Gruppe auch im Fall der Personalunion in der Geschäftsführung nicht teilt.

41

4. Die Revision ist auch nicht teilweise begründet, denn auch die der Klägerin materiell-rechtlich zustehende einfache Kürzung kann ihr im Revisionsurteil nicht mehr gewährt werden. Denn es liegt insoweit weder ein Verfahrensfehler noch ein materieller Rechtsfehler des FG vor.

42

a) Im Streitjahr 2018 galt mit § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG a.F. noch die auf den Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts vor dem Erhebungszeitraum Bezug nehmende Gesetzesfassung. Das FG hat im angegriffenen Urteil ausgeführt, dass die Klägerin keine Angaben zu den Einheitswerten gemacht habe. Noch im Klageverfahren habe das FA darauf aufmerksam gemacht, dass ihm keine Einheitswertbescheide vorlägen. In der mündlichen Verhandlung sei die Klägerin nochmals auf diesen Umstand hingewiesen worden. Das FG sei nicht zu weiteren Ermittlungsmaßnahmen gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verpflichtet gewesen, da sich das Maß der Sachaufklärung insoweit mindere, wie die Beteiligten ihren prozessualen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen seien. Soweit das FA ausdrücklich die fehlenden Einheitswertbescheide angemahnt habe und die Klägerin dennoch nicht entsprechende Unterlagen vorgelegt habe, habe das FG die anwaltlich vertretene Klägerin nicht nochmals auf diesen Umstand hinweisen müssen.

43

b) Ob die Auffassung zutrifft, dass keine Verletzung der Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO des FG vorliegt, bedarf im Revisionsverfahren keiner Entscheidung, da die Klägerin insoweit keine Verfahrensrüge erhoben hat und einen solchen Verstoß nicht dargelegt hat (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO). Auf die vom FG der Sache nach aufgeworfene und mit knapper Begründung verneinte Frage, ob die für die Entscheidung relevanten Einheitswertbescheide vom FG von Amts wegen hätten eingeholt werden müssen (sei es direkt beim zuständigen Lagefinanzamt, §§ 13, 86 FGO, sei es indirekt über das beklagte FA), muss im Streitfall daher nicht eingegangen werden. Eine Aufhebung und Zurückverweisung wegen eines von der Klägerin nicht geltend gemachten Verfahrensmangels kommt nicht in Betracht (vgl. § 118 Abs. 2 FGO).

44

c) Auch die Möglichkeit, das FA im Revisionsurteil nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO zu verpflichten, die streitgegenständliche Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags dahin zu ändern, dass die einfache Kürzung doch noch zu berücksichtigen ist, besteht mangels hinreichender Bestimmtheit eines solchen Tenors nicht (vgl. BFH-Urteil vom 26.02.2014 –  I R 47/13, BFH/NV 2014, 1395, Rz 12 f.). Gemäß den Rechtsgrundsätzen zu § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO setzt die Übertragung der Steuerberechnung nach dieser Norm voraus, dass dem FA nur noch die Berechnung der Steuer verbleibt, das heißt es darf keinen Wertungs-, Beurteilungs- oder Entscheidungsspielraum mehr geben. Sind noch Ermittlungen zur Höhe der Bemessungsgrundlage anzustellen, kommt die Übertragung der Steuerberechnung nicht in Betracht (vgl. BFH-Urteile vom 26.02.2014 –  I R 47/13, BFH/NV 2014, 1395, Rz 13; vom 06.11.2019 –  II R 34/16, BFHE 267, 440, BStBl II 2020, 465, Rz 44, und vom 01.02.2023 –  II R 3/20, BFHE 279, 222, BStBl II 2023, 717, Rz 8; s.a. BFH-Beschluss vom 31.03.2023 –  VIII B 93/21, BFH/NV 2023, 738, Rz 3). Die Gewährung der einfachen Kürzung im Revisionsurteil scheidet deshalb aus.

45

d) Hiervon ausgehend schied auf der Ebene des FG im Zeitpunkt seiner Entscheidung ein Urteilstenor gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO zum Zwecke der Gewährung der einfachen Kürzung ebenfalls aus. Auch insofern liegt daher kein materiell-rechtlicher Fehler des FG-Urteils vor, der unabhängig von einer etwaigen (vorliegend nicht gerügten) Sachaufklärungspflichtverletzung zur Aufhebung des FG-Urteils führen könnte.

46

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Quelle: Bundesfinanzhof

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1,0 % weniger neue Ausbildungsverträge in der dualen Berufsausbildung im Jahr 2024

Die Zahl neu abgeschlossener Ausbildungsverträge in der dualen Berufsausbildung in Deutschland ist im Jahr 2024 leicht gesunken. Wie das Statistische Bundesamt nach endgültigen Ergebnissen mitteilt, wurden 2024 insgesamt rund 475.100 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. Das waren 1,0 % oder rund 4.700 Verträge weniger als im Vorjahr (2023: 479.800).

Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 28.08.2025

  • Insgesamt 475.100 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge im Jahr 2024
  • 4 % weniger Neuverträge als im Vorjahr bei deutschen Auszubildenden, demgegenüber starker Anstieg um 17 % bei ausländischen Auszubildenden
  • Medizinische Fachangestellte unter Frauen und Kraftfahrzeugmechatroniker unter Männern bei Neuverträgen am häufigsten vertreten

Die Zahl neu abgeschlossener Ausbildungsverträge in der dualen Berufsausbildung in Deutschland ist im Jahr 2024 leicht gesunken. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) nach endgültigen Ergebnissen mitteilt, wurden 2024 insgesamt rund 475.100 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. Das waren 1,0 % oder rund 4.700 Verträge weniger als im Vorjahr (2023: 479.800). Dabei sank die Zahl der von deutschen Auszubildenden abgeschlossenen Neuverträge um 4 %, während die Zahl der Neuverträge von Auszubildenden mit ausländischer Staatsangehörigkeit deutlich um 17 % stieg. Auch im Zehnjahresvergleich zeigt sich der Trend einer wachsenden Zahl an ausländischen Auszubildenden mit Neuverträgen: Während die Gesamtzahl neu abgeschlossener Ausbildungsverträge von 2014 bis 2024 um 8 % zurückging, hat sich die Zahl der ausländischen Auszubildenden mit Neuverträgen von 36.200 im Jahr 2014 auf rund 70.000 im Jahr 2024 nahezu verdoppelt (+93 %).

Deutlich mehr Auszubildende mit ukrainischer Staatsangehörigkeit

Der Anteil Auszubildender mit ausländischer Staatsangehörigkeit an allen Auszubildenden mit neuem Vertrag betrug im Jahr 2024 rund 15 % (2014: 7 %). Besonders häufig schlossen im Jahr 2024 Personen mit vietnamesischer (7.100), syrischer (6.800) und ukrainischer (5.800) Staatsangehörigkeit einen neuen Ausbildungsvertrag ab. Im Vergleich zum Vorjahr (2023: 1.900) ist bei Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit nahezu eine Verdreifachung der Neuverträge gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Bei Personen mit vietnamesischer Staatsangehörigkeit stieg die Zahl der Neuverträge deutlich um 2.700 gegenüber dem Vorjahr (2023: 4.400). Personen mit syrischer Staatsangehörigkeit schlossen dagegen im Jahr 2024 mit einem leichten Rückgang um etwa 110 Neuverträge etwas seltener einen neuen Vertrag für eine duale Berufsausbildung ab (2023: 6.900).

Medizinische Fachangestellte bei Frauen und Kraftfahrzeugmechatroniker bei Männern sind die am stärksten besetzten Ausbildungsberufe unter Neuverträgen

Im Jahr 2024 wählten Frauen am häufigsten den Beruf der Medizinischen Fachangestellten (16.100), dicht gefolgt von der Kauffrau für Büromanagement (15.200) und der Zahnmedizinischen Fachangestellten (12.800). Im Jahr 2023 war Kauffrau für Büromanagement noch der häufigste Ausbildungsberuf unter Frauen gewesen.

Bei den fünf am stärksten besetzten Ausbildungsberufen männlicher Auszubildender gab es gegenüber dem Vorjahr keine Veränderungen. Auf Rang 1 lag weiterhin der Beruf Kraftfahrzeugmechatroniker mit 22.700 Neuverträgen. Auf den Rängen 2 und 3 lagen Ausbildungen als Fachinformatiker (15.300) und Elektroniker (14.000).

339.200 Auszubildende haben ihre Prüfung erfolgreich bestanden

Im Jahr 2024 wurden für die Auszubildenden in der dualen Berufsausbildung etwa 339.200 bestandene Prüfungen gemeldet. Hinzu kamen noch rund 16.000 bestandene externe Prüfungen, die außerhalb der dualen Ausbildung abgelegt wurden. In der beruflichen Weiterbildung waren zudem 80.100 bestandene Meister- beziehungsweise Fortbildungsprüfungen zu verzeichnen. Unter den 19.700 bestandenen Umschulungsprüfungen, mit denen eine berufliche Neuorientierung ermöglicht wird, waren vor allem Kaufmänner/Kauffrauen für Büromanagement (3.700), Fachinformatiker/innen in der Fachrichtung Systemintegration (1.600) und in der Fachrichtung Anwendungsentwicklung (1.300) zu finden.

1.217.900 Auszubildende zum Jahresende in einer dualen Berufsausbildung

Insgesamt befanden sich zum Jahresende 2024 rund 1.217.900 Personen in einer dualen Berufsausbildung. Davon entfielen die meisten Auszubildenden erneut auf den Bereich Industrie und Handel (688.500 oder 56 %), gefolgt vom Handwerk mit 28 % (341.000). Darauf folgten die freien Berufe mit 112.100 Auszubildenden oder 9 % sowie der öffentliche Dienst mit 3 % (41.500), Landwirtschaft mit 2,6 % (31.600) und der Bereich Hauswirtschaft mit 0,3 % oder 3.300 Auszubildenden. Im Zehnjahresvergleich von 2014 bis 2024 zeigt sich in den meisten Ausbildungsbereichen ein Rückgang in der Zahl der Auszubildenden zum Jahresende. Besonders deutlich fiel der Rückgang im Bereich Industrie und Handel (‑15 % oder ‑116.900) sowie im Handwerk (‑8 % oder ‑28.500) aus. Auch in der Hauswirtschaft (‑51 % oder ‑3.400) und in der Landwirtschaft (‑5 % oder ‑1.800) ging die Zahl an Auszubildenden zurück. Demgegenüber nahm zwischen 2014 und 2024 vor allem im Ausbildungsbereich Öffentlicher Dienst (+19 % oder +6.700) und in geringerem Umfang in den freien Berufen (+3 % oder +3.300) die Zahl der Auszubildenden zu.

Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis)

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Rechtsschutzinteresse für eine Feststellungsklage bei vorläufiger Einstellung der Kindergeldzahlung

Das FG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass gegen die vorläufige Einstellung der Kindergeldzahlung gemäß § 71 EStG die Feststellungsklage gemäß § 41 Abs. 1 FGO zulässig ist (Az. 10 K 10002/25).

FG Berlin-Brandenburg, Pressemitteilung vom 27.08.2025 zum Urteil 10 K 10002/25 vom 11.06.2025 (nrkr – BFH-Az.: III R 21/25)

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 11.06.2025 (Az. 10 K 10002/25) entschieden, dass gegen die vorläufige Einstellung der Kindergeldzahlung gemäß § 71 EStG die Feststellungsklage gemäß § 41 Abs. 1 FGO zulässig ist.

Die Kinder des Klägers lebten seit der Trennung von seiner Frau bei ihm. Die Kindesmutter stellte im Oktober 2024 einen konkurrierenden Kindergeldantrag. Daraufhin setzte die Beklagte die Zahlung an den Kläger ab November 2024 vorläufig aus, um den Sachverhalt zu klären. Da der Kläger nachwies, dass die Kinder weiterhin bei ihm lebten, nahm die Beklagte die Zahlung im November 2024 wieder auf.

Das Finanzgericht hat entschieden, dass der Kläger bei der vorläufigen Einstellung der Kindergeldzahlung ein Feststellungsinteresse habe. Es würden zwar keine wirtschaftlichen Beeinträchtigungen vorliegen, da die Zahlung schnell wiederaufgenommen worden sei. Ein Feststellungsinteresse bestehe aber auch bei Grundrechtsverletzungen oder zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG. Der Kläger habe keine andere Möglichkeit gehabt, die Maßnahme gerichtlich prüfen zu lassen, da es sich um einen Realakt und nicht um einen Verwaltungsakt handele. Die Feststellung diene auch der rechtlichen Anerkennung erlittenen Unrechts.

Die Voraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung der Festsetzungen hätten nicht vorgelegen und die Beklagte habe die Gründe für die Zahlungseinstellung nicht gemäß § 71 Abs. 2 EStG ordnungsgemäß mitgeteilt und dem Kläger so Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die in der Einspruchsentscheidung beiläufig erwähnten Gründe seien nicht mehr unverzüglich. Außerdem seien die nach § 71 Abs. 1 EStG notwendigen Ermessenerwägungen nicht erkennbar.

Das Finanzgericht hat die Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim BFH unter dem Aktenzeichen III R 21/25 anhängig.

Quelle: Finanzgericht Berlin-Brandenburg

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Hohe Arbeitskosten: Deutsche Industrie 22 Prozent teurer als ausländische Konkurrenz

Trotz hoher Produktivität verliert die deutsche Industrie an Wettbewerbsfähigkeit, zeigt eine neue Studie des IW Köln. Der Grund sind hohe Arbeitskosten – und die wachsende Konkurrenz aus China.

IW Köln, Pressemitteilung vom 27.08.2025

Trotz hoher Produktivität verliert die deutsche Industrie an Wettbewerbsfähigkeit, zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Der Grund sind hohe Arbeitskosten – und die wachsende Konkurrenz aus China.

Seit Mitte 2018 steckt die deutsche Industrie in der Rezession, ein Grund: hohe Arbeitskosten. Wie sehr sie die Wettbewerbsfähigkeit belasten, belegen die sog. Lohnstückkosten. Im Jahr 2024 lagen sie in der deutschen Industrie 22 Prozent über dem Schnitt von 27 Industriestaaten. Das bedeutet: Um eine Einheit zu produzieren, mussten deutsche Unternehmen gut ein Fünftel mehr für Löhne und Gehälter zahlen. Höher waren die Kosten nur in Lettland, Estland und Kroatien.

Hohe Produktivität, noch höhere Kosten

Dabei gehört die deutsche Industrie immer noch zu den produktivsten weltweit. Unter den 27 untersuchten Ländern erreicht Deutschland die siebte Position; von den großen Industrieländern weisen nur die USA eine höhere Produktivität auf. Allerdings hat die Bundesrepublik auch die dritthöchsten Arbeitskosten. In den USA sind die Arbeitskosten zwei Prozent niedriger, die Produktivität dafür 44 Prozent höher als in Deutschland.

Immerhin: Mit 18 Prozent im Vergleich zu 2018 sind die Lohnstückkosten hierzulande zuletzt schwächer gewachsen als im Ausland (20 Prozent). Doch während die Bruttowertschöpfung dort im Schnitt um sechs Prozent gewachsen ist, ging sie in Deutschland um drei Prozent zurück. Das heißt: Die deutschen Industriefirmen konnten trotz unterdurchschnittlicher Preisentwicklung weniger Produkte absetzen. Eine Erklärung: Weil viele deutsche Unternehmen ihren Technologievorsprung – vor allem gegenüber der chinesischen Konkurrenz – verloren haben, können sie seltener die Preise diktieren – die hohen Standortkosten werden deshalb zum Nachteil.

Lohnstückkosten dürften weiter steigen

„Der Fachkräftemangel treibt die Löhne weiter nach oben, die Kosten am Standort Deutschland dürften in den kommenden Jahren weiter steigen“, warnt IW-Ökonom Christoph Schröder. Die Bundesregierung könne helfen, indem sie das Wachstum bei den Lohnnebenkosten bremst und auf die demografische Herausforderung reagiert. „Ohne eine Reform der Sozialsysteme rutscht der Standort Schritt für Schritt in die Deindustrialisierung“.

Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln)

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Bundeskabinett beschließt Gesetzentwurf zur Änderung der Zuständigkeiten bei den Amts- und Landgerichten

Um die Bürgernähe und Leistungsfähigkeit der Justiz zu stärken, schlägt die Bundesregierung Änderungen der Regelungen über die gerichtlichen Zuständigkeiten vor. So sollen Amtsgerichte künftig für mehr Rechtsstreitigkeiten zuständig sein. Bislang entscheiden diese Gerichte in zivilrechtlichen Verfahren mit einem Streitwert von bis zu 5.000 Euro. Künftig sollen die Amtsgerichte über Streitigkeiten mit einem Streitwert von bis zu 10.000 Euro verhandeln. Einen entsprechenden Gesetzentwurf des BMJV hat das Bundeskabinett nun beschlossen.

BMJV, Pressemitteilung vom 27.08.2025

Für eine bürgernahe und leistungsfähige Justiz

Um die Bürgernähe und Leistungsfähigkeit der Justiz zu stärken, schlägt die Bundesregierung Änderungen der Regelungen über die gerichtlichen Zuständigkeiten vor. So sollen Amtsgerichte künftig für mehr Rechtsstreitigkeiten zuständig sein. Bislang entscheiden diese Gerichte in zivilrechtlichen Verfahren mit einem Streitwert von bis zu 5.000 Euro. Künftig sollen die Amtsgerichte über Streitigkeiten mit einem Streitwert von bis zu 10.000 Euro verhandeln. Außerdem sollen bestimmte Streitigkeiten im Bereich des Nachbarrechts generell in ihre Zuständigkeit fallen, also unabhängig davon, wie hoch der Streitwert des Verfahrens ist. Andere Rechtsstreitigkeiten – beispielsweise aus Heilbehandlungen, über Veröffentlichungen im Internet oder in der Presse oder im Vergaberecht – sollen generell den Landgerichten zugewiesen werden. So soll die Spezialisierung in der Justiz weiter gefördert werden. Einen entsprechenden Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat das Bundeskabinett heute beschlossen.

Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Dr. Stefanie Hubig erklärt dazu:

„Die Amtsgerichte ermöglichen in Deutschland an über 600 Standorten einen einfachen Zugang zum Recht – in Wohnortnähe und in der Regel ohne Anwaltszwang. Wir stärken die Amtsgerichte und erweitern ihre Zuständigkeiten. Sie sollen künftig über mehr Fälle entscheiden können. Gleichzeitig fördern wir die Spezialisierung der Justiz: Wir schaffen für die Landgerichte gezielt neue Zuständigkeiten für komplexe Verfahren. So machen wir unsere Justiz bürgernäher und leistungsfähiger.“

In Verfahren wegen bürgerlicher Rechtsstreitigkeiten sind je nach Fallgestaltung die Amtsgerichte oder die Landgerichte als Eingangsinstanz zuständig.

Es sind insbesondere folgende Änderungen der Zuständigkeitsregeln vorgesehen:

1. Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts für die Amtsgerichte

Der Zuständigkeitsstreitwert für die Amtsgerichte wird von bisher 5.000 Euro auf 10.000 Euro angehoben. Die letzte Anhebung der Streitwertgrenze liegt über 30 Jahre zurück. Die Anhebung soll die seitdem eingetretene Geldwertentwicklung berücksichtigen und eine nachhaltige Stärkung der Amtsgerichte erreichen. Durch diese Anhebung wird sich die Anzahl der erstinstanzlich vor dem Amtsgericht zu verhandelnden zivilrechtlichen Verfahren wieder erhöhen.

2. Spezialisierungen bei den Amts- und Landgerichten

Zur Förderung der Spezialisierung der Justiz sollen weitere streitwertunabhängige Zuständigkeiten der Amts- und Landgerichte geschaffen werden. Zivilrechtliche Streitigkeiten werden in einigen Rechtsgebieten zunehmend komplexer, bei anderen Rechtsgebieten spielt hingegen die Ortsnähe eine besondere Rolle. Durch die im Gesetzentwurf vorgesehene, streitwertunabhängige Zuweisung von bestimmten Streitigkeiten an das Amts- oder Landgericht wird diesem Umstand Rechnung getragen, sodass Verfahren effizient im Sinne der Bürgerinnen und Bürger bearbeitet werden können.

Bestimmte Streitigkeiten aus dem Bereich des Nachbarrechts sollen den Amtsgerichten streitwertunabhängig zugewiesen werden. Bei nachbarrechtlichen Streitigkeiten spielt die Ortsnähe oft eine besondere Rolle.

Veröffentlichungsstreitigkeiten, Vergabesachen sowie Streitigkeiten aus Heilbehandlungen sollen den Landgerichten streitwertunabhängig zugewiesen werden, um so eine weitergehende Spezialisierung zu erreichen. Von der neuen Spezialzuständigkeit für Veröffentlichungsstreitigkeiten sollen etwa Ansprüche aus dem Presserecht erfasst werden sowie Ansprüche wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wenn diese in der Presse oder öffentlich im Internet erfolgt ist. Im Vergaberecht sollen der neuen Zuständigkeitsregelung beispielsweise Fälle von Schadensersatzansprüchen unterfallen, weil öffentliche Aufträge fehlerhaft vergeben wurden. Die Streitigkeiten aus Heilbehandlungen umfassen zum Beispiel Verfahren, in denen Ansprüche wegen einer fehlerhaften Behandlung durch einen Arzt oder eine Ärztin geltend gemacht werden.

Quelle: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

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