RWI/ISL-Containerumschlag-Index: Welthandel weiter robust – Umleitung chinesischer Exporte nach Europa deutet sich an

Der Containerumschlag-Index des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) ist laut aktueller Schnellschätzung im Mai auf saisonbereinigt 138,3 Punkte gestiegen, nach revidiert 137,9 Punkten im April. Damit zeigt sich der Welthandel weiter robust – trotz der zwischenzeitlich deutlich erhöhten Zollsätze für Importe in die USA.

RWI Essen, Pressemitteilung vom 26.06.2025

Der Containerumschlag-Index des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) ist laut aktueller Schnellschätzung im Mai auf saisonbereinigt 138,3 Punkte gestiegen, nach revidiert 137,9 Punkten im April. Damit zeigt sich der Welthandel weiter robust – trotz der zwischenzeitlich deutlich erhöhten Zollsätze für Importe in die USA. Auffällig ist jedoch, dass der Containerumschlag in den Häfen der US-amerikanischen Westküste, über die ein großer Teil des Handels mit China abgewickelt wird, spürbar zurückgegangen ist. Auch in den chinesischen Häfen wurden im Mai etwas weniger Container umgeschlagen als im Vormonat. Im Gegensatz dazu wurde der Containerumschlag in den europäischen Häfen erneut kräftig ausgeweitet. Dies könnte darauf hindeuten, dass einige chinesische Exporteure ihre Waren verstärkt nach Europa liefern, um den gestiegenen Handelshemmnissen in den USA auszuweichen.

Die zentralen Ergebnisse:

  • Der Containerumschlag-Index des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) ist saisonbereinigt im Mai auf 138,3 Punkte gegenüber 137,9 Punkten (revidiert) im Vormonat gestiegen.
  • Beim Nordrange-Index, der Hinweise auf die wirtschaftliche Entwicklung im nördlichen Euroraum und in Deutschland gibt, war ein Anstieg von 115,9 (revidiert) auf 117,4 Punkte im Mai gegenüber dem Vormonat zu beobachten.
  • In den chinesischen Häfen war der Containerumschlag mit 156,5 Punkten (revidiert) gegenüber 156,7 Punkten im Vormonat leicht gesunken.
  • Der RWI/ISL-Containerumschlag-Index für Juni 2025 wird am 29. Juli 2025 veröffentlicht.

Zur Entwicklung des Containerumschlag-Index sagt RWI-Konjunkturchef Torsten Schmidt: „Die drastische Erhöhung der Zollsätze auf US-Importe aus China bremst spürbar den Handel der beiden Länder. Insgesamt zeigt sich der Welthandel gegenüber der US-amerikanischen Zollpolitik jedoch recht robust. Das hat auch damit zu tun, dass Warenströme aus China nach Europa umgeleitet werden.“

Quelle: RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

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Mietpreisbremse bis 2029 verlängert

Der Deutsche Bundestag hat die sog. Mietpreisbremse bis Ende 2029 verlängert. Die Regelung war zuletzt bis zum 31. Dezember 2025 befristet.

Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 26.06.2025

Der Bundestag hat die sog. Mietpreisbremse bis Ende 2029 verlängert. Die Mietpreisbremse begrenzt in ausgewiesenen Gebieten den Anstieg der Miete bei der Neuvermietung einer Wohnung. Die Regelung war zuletzt bis zum 31. Dezember 2025 befristet.

Für den entsprechenden Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD (BT-Drs. 21/322) stimmte am Donnerstag, 26. Juni 2025, auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die AfD stimmte gegen den zuvor im Rechtsausschuss noch in Teilen geänderten Entwurf (BT-Drs. 21/631), Die Linke enthielt sich. (…)

Quelle: Deutscher Bundestag, Textarchiv

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Raum Konstanz: Eilantrag gegen überwiegend vegetarische Schulverpflegung zurückgewiesen

Der VGH Baden-Württemberg hat die Beschwerden der Eltern und der Tochter gegen den Beschluss des VG Freiburg vom 16.05.2025 als unzulässig zurückgewiesen, mit dem diese erreichen wollten, dass ihrer Tochter an sämtlichen Tagen ein Schulessen mit Fleisch oder Fisch zur Verfügung gestellt wird (Az. 9 S 1044/25).

VGH Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 26.06.2025 zum Beschluss 9 S 1044/25 vom 23.06.2025

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) hat die Beschwerden der Eltern und der Tochter gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16.05.2025 als unzulässig zurückgewiesen.

Das Verwaltungsgericht Freiburg hat mit Beschluss vom 16.05.2025 einen Eilantrag von Eltern zurückgewiesen, mit dem diese erreichen wollten, dass ihrer Tochter an sämtlichen Tagen ein Schulessen mit Fleisch oder Fisch zur Verfügung gestellt wird (zu den Einzelheiten vgl. Pressemitteilung des VG Freiburg vom 26.05.2025).

Die von den Eltern selbst sowie der Tochter eingelegten Beschwerden hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs mit gestern bekannt gegebenem Beschluss vom 23.06.2025 als unzulässig zurückgewiesen. Die Beschwerden der Eltern sind unzulässig, da sie diese (entgegen der gesetzlichen Vorgaben) ohne Rechtsanwalt erhoben haben, obwohl vor dem VGH ein sog. Anwaltszwang besteht. Die Beschwerde der Tochter war nach der Begründung des Senats ebenfalls unzulässig. Sie war nicht Beteiligte im erstinstanzlichen Verfahren und deswegen nicht befugt eine Beschwerde zu erheben.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs ist unanfechtbar (Az. 9 S 1044/25).

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg

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Bundestag stimmt für Investitionssofortprogramm der Koalition

Der Bundestag hat am 26.06.2025 in 2./3. Lesung den sog. Investitions-Booster (BT-Drs. 21/323) beschlossen.

Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 26.06.2025

Der Bundestag hat am Donnerstag, 26. Juni 2025, den sog. Investitions-Booster beschlossen. Die Abgeordneten haben einen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen „für ein steuerliches Investitionssofortprogramm zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ (21/323) angenommen. Für das Gesetzespaket in einer vom Finanzausschuss geänderten Fassung haben CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke bei Stimmenthaltung der AfD gestimmt. Ein gleichlautender Gesetzentwurf der Bundesregierung (21/516) wurde für erledigt erklärt. Den Entscheidungen lagen eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses (21/629) sowie ein Bericht vom Haushaltsausschuss gemäß Paragraf 96 der Geschäftsordnung (21/643) zugrunde.

Ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Gerechtigkeitslücken im Steuersystem schließen, Steuerbetrug wirksam bekämpfen und Einnahmebasis des Staates stärken“ (21/356) wurde hingegen abgelehnt. Die Vorlage erreichte gegen die Stimmen von CDU/CSU, AfD und SPD bei Zustimmung der Grünen und Linksfraktion keine ausreichende Mehrheit. Auch hierzu hat die Beschlussvorlage des Finanzausschusses (21/629) eine Empfehlung abgegeben. (…)

Quelle: Deutscher Bundestag, Textarchiv

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BFH zur Günstigerprüfung gemäß § 10a Abs. 2 EStG – Reihenfolge der Rechenschritte von der tariflichen zur festzusetzenden Einkommensteuer

Der BFH entschied, wie die Günstigerprüfung gemäß § 10a Abs. 2 EStG zwischen der Berücksichtigung der Altersvorsorgeaufwendungen und des Altersvorsorgezulagenanspruchs durchzuführen ist (Az. X R 11/21).

BFH, Urteil X R 11/21 vom 09.04.2025

Leitsatz

  1. Bei der Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist die Differenz der tariflichen Einkommensteuer, die sich einerseits ohne und andererseits mit Abzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge als Sonderausgaben ergäbe, mit dem Zulageanspruch zu vergleichen.
  2. Ist die Differenz zwischen den genannten tariflichen Einkommensteuerbeträgen höher als der Zulageanspruch, werden die ‑ auch den Zulageanspruch umfassenden ‑ Altersvorsorgebeiträge als Sonderausgaben abgezogen. Im Gegenzug wird der Zulageanspruch zur Vermeidung einer doppelten Begünstigung bei der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer hinzugerechnet.
  3. Auf dem Weg zur Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer ist die tarifliche Einkommensteuer zunächst um Steuerermäßigungen nach § 35a EStG zu mindern (§ 2 Abs. 6 Satz 1 EStG). Erst danach ist der Zulageanspruch hinzuzurechnen (§ 2 Abs. 6 Satz 2 EStG).
  4. Eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG ist dann geboten, wenn zwar der Sonderausgabenabzug auf der Ebene der tariflichen Einkommensteuer günstiger als der Zulageanspruch ist, die festzusetzende Einkommensteuer aber dennoch höher ausfiele als ohne den Sonderausgabenabzug.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 12.05.2021 – 5 K 18/19 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die richtige Berechnungsweise der festzusetzenden Einkommensteuer.

2

Die einzeln zur Einkommensteuer veranlagte Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielte im Streitjahr 2015 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und erhielt Unterhaltsleistungen. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung machte sie Aufwendungen zur zusätzlichen Altersvorsorge nach § 10a Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 1.354 € als Sonderausgaben sowie Steuerermäßigungen nach § 35a EStG in Höhe von insgesamt 515 € geltend.

3

Bei der Veranlagung ergab die vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt –FA–) vorgenommene Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 EStG, dass der Sonderausgabenabzug ausscheide, weil der Zulageanspruch in Höhe von 154 € günstiger sei. Dabei ermittelte das FA die festzusetzende Einkommensteuer ohne Berücksichtigung der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge. Hierzu minderte es die auf das zu versteuernde Einkommen (zvE) von 12.021 € entfallende tarifliche Einkommensteuer (622 €) um die Steuerermäßigungen (515 €), so dass sich ein Betrag von 107 € ergab, der im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr festgesetzt wurde:

zvE 12.021 €
tarifliche Einkommensteuer darauf 622 €
abzüglich § 35a EStG 515 €
festzusetzende Einkommensteuer 107 €
4

Denn im Rahmen der vorzunehmenden Vergleichsrechnung unter Berücksichtigung des Sonderausgabenabzugs hätte sich nach Ansicht des FA eine höhere festzusetzende Einkommensteuer von 154 € ergeben. Ausgehend von einem entsprechend verringerten zvE von 10.667 € (12.021 € ./. 1.354 €) wäre die darauf entfallende tarifliche Einkommensteuer (355 €) zunächst um Steuerermäßigungen nach § 35a EStG (515 €) im höchstmöglichen Umfang (355 €) auf 0 € zu mindern gewesen und nachfolgend um den Anspruch auf Zulage (154 €) zu erhöhen:

Zwischensumme zvE 12.021 €
abzüglich Altersvorsorgebeiträge als SA  
(§ 10a Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 EStG) 1.200 €
abzüglich Altersvorsorgezulage als SA  
(§ 10a Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG) 154 €
zvE 10.667 €
tarifliche Einkommensteuer darauf 355 €
abzüglich § 35a EStG [515 €]
(begrenzt auf tarifliche Einkommensteuer) 355 €
Zwischensumme Einkommensteuer 0 €
zuzüglich Altersvorsorgezulage  
(§ 10a Abs. 2 Satz 1 EStG) 154 €
festzusetzende Einkommensteuer 154 €
5

Dies wäre im Ergebnis für die Klägerin ungünstiger gewesen.

6

Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt, indem es die Einkommensteuer für 2015 antragsgemäß auf 0 € herabsetzte (Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 1454).

7

Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, abweichend vom Ansatz des FA sei bei der Günstigerprüfung die Zulage beziehungsweise der Zulageanspruch mit der Differenz zwischen der tariflichen Einkommensteuer ohne und mit Sonderausgabenabzug der Altersvorsorgeaufwendungen zu vergleichen. Sofern die steuerliche Entlastung die Zulage übersteige, sei der Sonderausgabenabzug tatsächlich vorzunehmen, die tarifliche Einkommensteuer allerdings gemäß § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG um den Anspruch auf Altersvorsorgezulage zu erhöhen. An diese (um die hinzugerechnete Zulage „erhöhte“) tarifliche Einkommensteuer knüpfe § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG begrifflich an, so dass erst nachfolgend Steuerermäßigungen nach § 35a EStG abzuziehen seien.

8

Ein solches Verständnis der gesetzlichen Vorschriften sei möglich und nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung auch geboten, nach dem bei zwei möglich erscheinenden Auslegungsvarianten diejenige zu wählen sei, die dem Steuerpflichtigen die größtmögliche Steuerersparnis verschaffe. Durch die Ermittlungsweise des FA werde ein Teil des Steuerermäßigungspotentials nach § 35a EStG ohne erkennbaren Grund nicht ausgeschöpft. Durch die vorrangige Hinzurechnung der Altersvorsorgezulage zur tariflichen Einkommensteuer würden die Altersvorsorgeaufwendungen auch nicht zusätzlich begünstigt. Vielmehr gehe es darum, die Steuerermäßigung soweit wie möglich zu erhalten.

9

Auf den Streitfall bezogen sei die Steuerminderung durch den Sonderausgabenabzug (622 € ./. 355 € = 267 €) günstiger als die Altersvorsorgezulage (154 €). Dementsprechend sei die tarifliche Einkommensteuer um den Altersvorsorgezulageanspruch zu erhöhen (355 € + 154 € = 509 €; „erhöhte“ tarifliche Einkommensteuer). Nach Abzug der Steuerermäßigungen nach § 35a EStG (515 €) betrage die festzusetzende Einkommensteuer 0 €:

Zwischensumme zvE 12.021 €
abzüglich Altersvorsorgebeiträge als SA  
(§ 10a Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 EStG) 1.200 €
abzüglich Altersvorsorgezulage als SA  
(§ 10a Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG) 154 €
zvE 10.667 €
tarifliche Einkommensteuer darauf 355 €
zuzüglich Altersvorsorgezulage 154 €
erhöhte tarifliche Einkommensteuer  
(§ 10a Abs. 2 Satz 1 EStG) 509 €
abzüglich § 35a EStG [515 €]
(begrenzt auf tarifliche Einkommensteuer) 509 €
festzusetzende Einkommensteuer 0 €
10

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der Ansicht des FG gebe § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG die Reihenfolge der Rechenschritte vor, um von der tariflichen zur festzusetzenden Einkommensteuer zu gelangen. Danach seien zuerst alle gesetzlich vorgesehenen Minderungen –so auch Steuerermäßigungen nach § 35a EStG– vorzunehmen; erst in einem weiteren Berechnungsschritt seien die in der Vorschrift genannten Berechnungsgrößen hinzuzurechnen. Die Sätze 2 und 3 des § 2 Abs. 6 EStG ergänzten diese Systematik folgerichtig um die Hinzurechnungen infolge der Günstigerprüfungen nach den §§ 10a und 31 EStG.

11

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

12

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

13

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II.

14

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

15

Das FA hat die Einkommensteuer der Klägerin für das Streitjahr mit 107 € zutreffend festgesetzt.

16

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass bei der Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG die Differenz der tariflichen Einkommensteuer, die sich einerseits ohne und andererseits unter Abzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge als Sonderausgaben ergäbe, mit dem Zulageanspruch zu vergleichen ist (unter 1.). Rechtsfehlerhaft hat es allerdings im Rahmen der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer –entgegen den sich aus § 2 Abs. 6 EStG ergebenden Ermittlungsvorgaben– nicht die Minderung um die Steuerermäßigungen nach § 35a EStG vor der Hinzurechnung der Altersvorsorgezulage vorgenommen (unter 2.). Ungeachtet des –bei isolierter Prüfung des § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG– günstigeren Sonderausgabenabzugs hat das FA zu Recht das für den Steuerpflichtigen insgesamt niedrigere steuerliche Ergebnis ohne diesen Abzug festgesetzt (unter 3.).

17

1. Bei der Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG ist –wie vom FG zu Recht angenommen– die Differenz der tariflichen Einkommensteuer, die sich einerseits ohne und andererseits unter Abzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge als Sonderausgaben ergäbe, mit dem Zulageanspruch zu vergleichen.

18

a) Gemäß § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG können in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherte Altersvorsorgebeiträge (§ 82 EStG) zuzüglich der dafür nach Abschn. XI zustehenden Zulage jährlich bis zu 2.100 € als Sonderausgaben abziehen.

19

Ist der Sonderausgabenabzug nach § 10a Abs. 1 EStG für den Steuerpflichtigen günstiger als der Anspruch auf die Zulage nach Abschn. XI, erhöht sich die unter Berücksichtigung des Sonderausgabenabzugs ermittelte tarifliche Einkommensteuer um den Anspruch auf Zulage. In den anderen Fällen scheidet der Sonderausgabenabzug aus. Die Günstigerprüfung wird von Amts wegen vorgenommen (§ 10a Abs. 2 Sätze 1 bis 3 EStG).

20

b) Der Vorschrift des § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG ist das Erfordernis eines Vergleichs zwischen einer sich aufgrund des „Sonderausgabenabzugs“ ergebenden Größe einerseits und dem Zulageanspruch andererseits zu entnehmen.

21

aa) Der „Anspruch auf die Zulage nach Abschnitt XI“ knüpft erkennbar an die §§ 79 ff. EStG an. Für den Anspruch auf die in den §§ 83 ff. EStG geregelte Altersvorsorgezulage (Grundzulage sowie gegebenenfalls Kinderzulage) ergibt sich ein konkreter Wert, der für die Klägerin im Streitjahr 154 € (Anspruch auf Grundzulage) betrug.

22

bb) Demgegenüber werden, was den „Sonderausgabenabzug“ anbelangt, im Gesetz weder die Vergleichsgröße noch die zu ihrer Ermittlung durchzuführenden Schritte näher benannt.

23

In § 2 EStG findet sich der Sonderausgabenabzug in Abs. 4 der Vorschrift lediglich als Schritt zu der rechnerischen Zwischengröße „Einkommen“, welches dann –vermindert um die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und um die sonstigen vom Einkommen abzuziehenden Beträge– als zvE die Bemessungsgrundlage für die tarifliche Einkommensteuer bildet (vgl. § 2 Abs. 5 Satz 1 EStG). Erst Letztere beinhaltet –durch Anwendung des Einkommensteuertarifs (§ 32a EStG) auf das zvE (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 10.11.2020 –  IX R 34/18, BFHE 271, 207, BStBl II 2021, 455, Rz 14)– einen konkreten Steuerbetrag (vgl. Seer in Kirchhof/Seer, EStG, 24. Aufl., § 2 Rz 114). Erst ein solcher Steuerbetrag kann einer Differenzberechnung und über diese einem Vergleich mit dem durch die Zulage bewirkten Vorteil zugrunde gelegt werden.

24

c) Nach Auffassung des Senats ist für die Prüfung, ob der Sonderausgabenabzug nach § 10a Abs. 1 EStG „günstiger“ für den Steuerpflichtigen ist, der Unterschiedsbetrag zwischen der tariflichen Einkommensteuer mit und ohne Sonderausgabenabzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge maßgebend. Erst diese Differenz stellt –wovon das FG zutreffend ausgegangen ist– die Größe dar, die mit dem Zulageanspruch zu vergleichen ist (so auch Myßen in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff –KSM–, EStG, § 10a Rz D 4; so wohl auch BeckOK EStG/Geisenberger, 20. Ed. 01.11.2024, EStG § 10a Rz 154; zustimmend wohl auch Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 44. Aufl., § 10a Rz 25).

25

aa) Wie im Rahmen der Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 EStG bei der Ermittlung der (jeweiligen) tariflichen Einkommensteuer die kindbedingten Freibeträge im Sinne des § 32 Abs. 6 EStG zu behandeln sind, um Wechselwirkungen zwischen den Günstigerprüfungen nach § 10a Abs. 2 EStG und § 31 Satz 4 EStG zu vermeiden (vgl. Myßen in KSM, EStG, § 10a Rz D 13 bis D 15), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn derartige Freibeträge standen der Klägerin im Streitjahr nicht zu.

26

bb) Dass die Vergleichsgröße der eingangs genannte Unterschiedsbetrag zwischen der tariflichen Einkommensteuer mit und ohne Sonderausgabenabzug ist, ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang zwischen den Regelungen über die Altersvorsorgezulage und den zusätzlichen Sonderausgabenabzug.

27

(1) Der Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG ist durch das Altersvermögensgesetz vom 26.06.2001 (BGBl I 2001, 1310) mit Wirkung vom 01.01.2002 eingeführt worden. Der Gesetzgeber wollte eine progressionsunabhängige Altersvorsorgezulage einführen (vgl. Gesetzentwurf vom 14.11.2000, BTDrucks 14/4595, S. 39), damit auch Steuerpflichtige mit einem niedrigeren zu versteuernden Einkommen, denen der Sonderausgabenabzug nicht oder nur in einem geringen Umfang zugutekommt (vgl. Senatsurteil vom 08.07.2015 –  X R 41/13, BFHE 250, 397, BStBl II 2016, 525, Rz 59), eine steuerlich geförderte Altersvorsorge aufbauen können (vgl. Myßen in KSM, EStG, § 79 Rz A 2).

28

(2) Im Rahmen der Günstigerprüfung ermittelt die Finanzverwaltung von Amts wegen, ob die steuerliche Förderung durch den Sonderausgabenabzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge den Zulageanspruch übersteigt, die dem Steuerpflichtigen dann –im übersteigenden Umfang– zugutekommt (vgl. auch Senatsurteil vom 19.01.2022 –  X R 32/20, BFHE 276, 9, BStBl II 2022, 617, Rz 21).

29

(a) Dabei knüpft die in § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG (vgl. auch § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG) vorgesehene Rechtsfolge auf der Ebene der tariflichen Einkommensteuer an: Erfolgt aufgrund der Günstigerprüfung ein Sonderausgabenabzug, erhöht sich die „unter Berücksichtigung des Sonderausgabenabzugs ermittelte tarifliche Einkommensteuer“ um den Anspruch auf Zulage.

30

(b) Durch diese Hinzurechnung des Zulageanspruchs wird erreicht, dass dem Steuerpflichtigen im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung nur die über den Zulageanspruch hinausgehende Steuerermäßigung gewährt wird und keine Doppelförderung der Altersvorsorgebeiträge erfolgt (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen –BMF– vom 05.10.2023, BStBl I 2023, 1726, Rz 106). Die Zulage wirkt insoweit wie eine Vorauszahlung auf den sich aus dem Sonderausgabenabzug nach § 10a Abs. 1 EStG ergebenden Steuervorteil (vgl. Hahner in Bordewin/Brandt, § 10a EStG Rz 83; Brandis/Heuermann/Vogel, § 79 EStG Rz 2).

31

cc) Das FA hat sich im Rahmen des Revisionsverfahrens insoweit der vom FG vertretenen –und vom erkennenden Senat für zutreffend erachteten– Vorgehensweise bei der Günstigerprüfung angeschlossen. Dem BMF-Schreiben vom 05.10.2023, BStBl I 2023, 1726 ist nichts Abweichendes zu entnehmen.

32

d) Nach Maßgabe dessen hat das FG rechtsfehlerfrei ermittelt, dass der Abzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge als Sonderausgaben im Streitfall zu einer um 267 € niedrigeren tariflichen Einkommensteuer führen würde als ohne den Sonderausgabenabzug. Da dieser sich durch den Sonderausgabenabzug ergebende steuerliche Vorteil den Zulageanspruch (154 €) um 113 € übersteigt, wäre als Ergebnis der Günstigerprüfung gemäß § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG grundsätzlich der Sonderausgabenabzug vorzunehmen und der Zulageanspruch hinzuzurechnen. Dennoch hat das FA aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls zutreffend von einem Sonderausgabenabzug abgesehen (vgl. unter 3.).

33

2. Im Rahmen der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer hat das FG in rechtsfehlerhafter Weise –entgegen den sich aus § 2 Abs. 6 EStG ergebenden Ermittlungsvorgaben– nicht die Minderung um die Steuerermäßigungen nach § 35a EStG vor der Hinzurechnung der Altersvorsorgezulage vorgenommen.

34

a) Gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG ist die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um den Unterschiedsbetrag nach § 32c Abs. 1 Satz 2, die anzurechnenden ausländischen Steuern und die Steuerermäßigungen, vermehrt um die Steuer nach § 32d Abs. 3 und 4, die Steuer nach § 34c Abs. 5 und den Zuschlag nach § 3 Abs. 4 Satz 2 des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes (…), die festzusetzende Einkommensteuer. Für die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer ist der Anspruch auf Zulage nach Abschn. XI der tariflichen Einkommensteuer hinzuzurechnen, wenn der Gesamtbetrag der Einkünfte in den Fällen des § 10a Abs. 2 um Sonderausgaben nach § 10a Abs. 1 gemindert wurde (vgl. § 2 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 EStG).

35

b) Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG werden –ausgehend von der tariflichen Einkommensteuer– zunächst bestimmte Minderungen („vermindert“) und erst danach bestimmte Mehrungen („vermehrt“) vorgenommen.

36

c) Diese Unterteilung in zwei Berechnungsschritte bildet nach zutreffender Auffassung des FA die grundlegende Systematik des Gesetzes (vgl. auch Bodden in Korn, § 2 EStG Rz 258).

37

aa) In § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG wird die Reihenfolge der erforderlichen Rechenschritte festgeschrieben, um von der tariflichen Einkommensteuer zu der festzusetzenden Einkommensteuer zu gelangen (vgl. BFH-Beschluss vom 28.04.2020 –  VI R 54/17, BFHE 269, 15, BStBl II 2020, 544, Rz 17; vgl. auch Brandis/Heuermann/Ratschow, § 2 EStG Rz 182, der darauf hinweist, dass § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG hingegen nicht in jeder Hinsicht regele, in welcher Reihenfolge die abzuziehenden Steuerermäßigungen zu berücksichtigen seien).

38

bb) In diese Systematik fügt sich § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG ein.

39

(1) Inhaltlich orientiert sich die Regelung eng an § 10a Abs. 2 EStG, indem sie die in § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG vorgesehene Rechtsfolge eines positiven Ergebnisses der Günstigerprüfung, die Hinzurechnung des Zulageanspruchs aufgreift und ihr –darin liegt die eigentliche Bedeutung des § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG– eine bestimmte Stelle im Rahmen der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer zuweist: Danach wird das nach § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG ermittelte Ergebnis nachfolgend durch die spezielle Mehrung um den Zulageanspruch (Satz 2) verändert.

40

Diese Auslegung, nach welcher § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG ein eigenständiger Regelungsgehalt zukommt (a.A. Brandis/Heuermann/Ratschow, § 2 EStG Rz 181: Deklaratorische Regelung; ebenso Musil in Herrmann/Heuer/Raupach –HHR–, § 2 EStG Rz 882), führt zu einem in sich stimmigen gesetzlichen System und vermeidet, dass die Norm keinen Anwendungsbereich hat und überflüssig wäre (vgl. zu diesem Auslegungsgrundsatz Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.11.2012 – 7 C 1.12, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2013, 431, Rz 34).

41

(2) Diesen systematischen Ansatz vertritt –soweit ersichtlich– auch der III. Senat des BFH hinsichtlich der Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG.

42

(a) Nach dieser Vorschrift werden für den Fall, dass die durch die kindbedingten Freibeträge bewirkte Steuerminderung größer als der Anspruch auf Kindergeld ist, die Freibeträge zum Abzug gebracht; im Gegenzug wird der Anspruch auf Kindergeld der tariflichen Einkommensteuer hinzugerechnet.

43

(b) Diese Hinzurechnung hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 6 Satz 3 EStG –nach den Sätzen 1 und 2 der Vorschrift– verortet.

44

(c) Dementsprechend bildet nach Auffassung des III. Senats des BFH die Hinzurechnung des Kindergelds „den letzten Schritt“ auf dem Weg zur Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer (vgl. Urteil vom 14.04.2021 –  III R 34/19, BFHE 273, 33, BStBl II 2021, 848, Rz 38).

45

(d) Der vorstehenden Entscheidung liegt ebenfalls das vom erkennenden Senat geteilte Verständnis der Gesetzessystematik in § 2 Abs. 6 EStG zugrunde.

46

Dies zeigt sich in der weiteren Aussage des III. Senats des BFH, dass die Hinzurechnung des Kindergelds keinen Einfluss auf etwaige, „vorher zu berücksichtigende Steuerermäßigungen“ habe (vgl. Urteil vom 14.04.2021 –  III R 34/19, BFHE 273, 33, BStBl II 2021, 848, Rz 38; kritisch dazu Selder, juris PraxisReport Steuerrecht 47/2021, Anm. 4, unter C.II., wonach der BFH die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung im Schema zu R 2 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien bestätige, obwohl die Annahme einer anderen Reihenfolge nicht ausgeschlossen gewesen wäre).

47

(3) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die BFH-Rechtsprechung zur Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG auf die Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 EStG im Hinblick auf die Berechnungsreihenfolge übertragbar.

48

Das FA hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass –gesetzestechnisch-die Mechanismen beider Günstigerprüfungen vergleichbar seien (vgl. auch BeckOK EStG/Geisenberger, 20. Ed. 01.11.2024, EStG § 10a Rz 153).

49

So ist zunächst der jeweilige Anspruch (auf Altersvorsorgezulage beziehungsweise auf Kindergeld) mit der möglichen steuermindernden Wirkung des Abzugs berücksichtigungsfähiger Beträge (Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge beziehungsweise kindbedingte Freibeträge) zu vergleichen. Ergibt dieser Vergleich einen übersteigenden Steuervorteil, werden einerseits die berücksichtigungsfähigen Beträge tatsächlich zum Abzug gebracht, andererseits wird nachfolgend bei der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer der jeweilige Anspruch zur Vermeidung einer doppelten steuerlichen Entlastung hinzugerechnet (vgl. Urteil vom 14.04.2021 –  III R 34/19, BFHE 273, 33, BStBl II 2021, 848, Rz 39, zur Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG).

50

d) Dem sich aus Wortlaut und Systematik ergebenden Verständnis stehen die historische und teleologische Auslegung der in Rede stehenden § 10a Abs. 2 Satz 1, § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG nicht entgegen.

51

aa) Aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Ansicht der Klägerin, der Gesetzgeber habe es zulassen wollen, dass Steuerermäßigungen nach der Hinzurechnung des Zulageanspruchs abgezogen werden können.

52

(1) Die Beteiligten weisen übereinstimmend auf den Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zum Altersvermögensgesetz hin, welchen sie jedoch konträr deuten. So sei in dem neu geschaffenen Abzugstatbestand des § 10a EStG (vgl. Senatsurteil vom 19.01.2022 –  X R 32/20, BFHE 276, 9, BStBl II 2022, 617, Rz 16) die Hinzurechnung des Zulageanspruchs ursprünglich auf Ebene der „festzusetzenden“ Einkommensteuer vorgesehen gewesen (vgl. § 10a Abs. 7 Satz 1 EStG i.d.F. des ersten Gesetzesentwurfs; BTDrucks 14/4595, S. 25), nachfolgend aber bewusst auf der Ebene der ermittelten „tariflichen“ Einkommensteuer verortet worden (vgl. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 24.01.2001, BTDrucks 14/5146, S. 123).

53

(2) Dem erkennenden Senat erschließt sich nicht, inwieweit diese Änderung des Normtextes als Beleg für die Ansicht der Klägerin gewertet werden könnte. Aus der angeführten Gesetzeshistorie ergibt sich allein, dass die Hinzurechnung des Zulageanspruchs im Berechnungsschema „vorgezogen“ und nunmehr die tarifliche Einkommensteuer betreffen sollte. Eine Aussage des –von der Klägerin unterstellten– Inhalts, dass dies mit dem Ziel erfolgt wäre, eine Verrechnung mit Steuerermäßigungen zu ermöglichen, lässt sich, soweit ersichtlich, den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen.

54

Die hier entscheidende Frage, an welcher Stelle auf dem Weg zur Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer der Abzug von Steuerermäßigungen einerseits und die Hinzurechnung des Zulageanspruchs andererseits vorzunehmen ist, wird damit nicht beantwortet.

55

(3) Vielmehr hatte der veränderte Normtext des § 10a EStG ein Bedürfnis zur Regelung des Standorts der Hinzurechnung im Rahmen der Berechnungsvorschrift des § 2 Abs. 6 EStG ausgelöst. Für einen entsprechenden Regelungswillen des Gesetzgebers spricht der Umstand, dass mit der vorgeschlagenen Verschiebung der Hinzurechnung des Zulageanspruchs auf die Ebene der „tariflichen“ Einkommensteuer im damaligen Gesetzgebungsverfahren zugleich empfohlen wurde, für die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer den bisherigen Satz 2 in § 2 Abs. 6 EStG durch zwei neue Sätze –die Hinzurechnung des Zulageanspruchs (Satz 2) und die Hinzurechnung des Kindergeldanspruchs (Satz 3)– zu ersetzen (vgl. BTDrucks 14/5146, S. 115); diese Ausgestaltung entspricht der heute geltenden Regelung.

56

bb) Sinn und Zweck der in Rede stehenden Vorschriften gebieten kein von Wortlaut und Systematik abweichendes Verständnis.

57

(1) Die in § 10a Abs. 2 Satz 1, § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG für den Fall des günstigeren Sonderausgabenabzugs angeordnete Hinzurechnung des Anspruchs auf Altersvorsorgezulage dient der Vermeidung einer Doppelbegünstigung des Steuerpflichtigen (vgl. Brandis/Heuermann/Ratschow, § 2 EStG Rz 181; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 44. Aufl., § 10a Rz 27; Seer in Kirchhof/Seer, EStG, 24. Aufl., § 2 Rz 117), da in den –steuerlich bereits als Sonderausgaben berücksichtigten– Beiträgen zur zusätzlichen Altersvorsorge der Anspruch auf Altersvorsorgezulage enthalten ist (vgl. § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG).

58

(2) Inwieweit diese Zielrichtung der Hinzurechnung des Zulageanspruchs der hier angenommenen Reihenfolge der Berechnungsschritte entgegenstehen soll, ist für den erkennenden Senat nicht ersichtlich. Insbesondere bleibt unverständlich, weshalb –wie die Klägerin annimmt– der Sonderausgabenabzug der Altersvorsorgebeiträge einerseits und die Hinzurechnung des Zulageanspruchs andererseits –über einen normativen Zusammenhang hinaus– eine untrennbare „mathematische“ Einheit bilden sollten.

59

(3) Dem Ansatz der Klägerin in diesem Zusammenhang ist nicht zu folgen.

60

(a) Ihrer Auffassung nach ist bei der Auslegung zentral der Zweck der Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 EStG in den Blick zu nehmen, welcher darauf gerichtet sei, den steuerlichen Vorteil, der sich durch den Sonderausgabenabzug der Altersvorsorgebeiträge über den Zulageanspruch hinaus ergebe, dem Steuerpflichtigen im höchstmöglichen Umfang zukommen zu lassen. Im Hinblick darauf befürwortet sie die vorrangige Hinzurechnung des Zulageanspruchs und erst nachfolgend den Abzug der Steuerermäßigungen nach § 35a EStG, da sich die Steuerermäßigungen bei dieser Reihenfolge weitergehend zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkten.

61

(b) Diese Erwägungen können angesichts der Vorgaben des § 2 Abs. 6 EStG nicht durchgreifen. Mithilfe einer bloß allgemeinen Zielvorstellung –der Erhaltung beziehungsweise Nutzung eines größtmöglichen Steuerminderungspotentials– können gesetzlich klar festgelegte Schritte zur Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer nicht überspielt werden.

62

(c) Im Übrigen trifft es auch der Sache nach nicht zu, dass der Klägerin infolge der vom Senat befürworteten Auslegung steuerliche Vorteile gerade aus dem Sonderausgabenabzug der Altersvorsorgebeiträge verlorengingen.

63

Das FA hat nämlich im Rahmen der Günstigerprüfung unter anderem eine Berechnung unter Abzug der Altersvorsorgebeiträge als Sonderausgaben vorgenommen und ist dabei fehlerfrei zu einem niedrigeren zvE von 10.667 € (12.021 € ./. 1.354 €) gelangt. Der Sonderausgabenabzug erfolgte demnach ungeschmälert, im Gegenzug war –wie gesetzlich angeordnet– der Zulageanspruch hinzuzurechnen.

64

Ein steuerlicher Nachteil resultierte bei dieser Berechnungsweise allein daraus, dass die Steuerermäßigungen nach § 35a EStG nicht in vollem Umfang (515 €), sondern nur im (höchstmöglichen) Umfang von 355 €, bis zur Minderung der tariflichen Einkommensteuer auf 0 €, abgezogen werden konnten; dadurch konnte ein Steuerermäßigungsvolumen im Umfang von 160 € (515 € ./. 355 €) nicht berücksichtigt werden.

65

(4) Der vorstehend angesprochene –hier aufgrund der geringen Einkünfte der Klägerin zum Tragen kommende– Effekt der (endgültigen) Nichtberücksichtigung eines bei Inanspruchnahme der Steuerermäßigung nach § 35a EStG nicht ausgeschöpften Anrechnungsüberhangs ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt.

66

(a) Denn weder die Festsetzung einer negativen Einkommensteuer in Höhe des nicht ausgeschöpften Ermäßigungsbetrags noch die Feststellung eines rück- oder vortragsfähigen Anrechnungsüberhangs nach § 35a EStG sind gesetzlich vorgesehen; verfassungsrechtlich ist dies nicht zu beanstanden (vgl. BFH-Urteil vom 29.01.2009 –  VI R 44/08, BFHE 224, 261, BStBl II 2009, 411, unter II.1.b und II.2.b aa; Bode in KSM, EStG, § 35a Rz A 7).

67

(b) Die Steuerermäßigung nach § 35a EStG geht nicht als negative Rechengröße in die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer ein. Dies gilt auch dann, wenn sich durch die Vermehrung dieses (negativen) Betrags durch die „veranlagte“ Einkommensteuer auf Kapitalvermögen oder andere Hinzurechnungsgrößen eine positive festzusetzende Einkommensteuer ergibt. Denn negative Rechengrößen kennt das Einkommensteuerrecht im Rahmen der Ermittlung der Steuer anders als bei der Ermittlung der Einkünfte nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 28.04.2020 –  VI R 54/17, BFHE 269, 15, BStBl II 2020, 544, Rz 17).

68

e) Nach dem Vorstehenden bildet daher die Hinzurechnung des Anspruchs auf Altersvorsorgezulage nach § 2 Abs. 6 Satz 2 EStG den „vorletzten“ Schritt auf dem Weg zur Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer (vgl. BFH-Urteil 14.04.2021 –  III R 34/19, BFHE 273, 33, BStBl II 2021, 848, Rz 38, für die Hinzurechnung des Kindergelds; HHR/Musil, § 2 EStG Rz 2 Tabelle 3, Zeile 17, 18).

69

f) Nach Maßgabe dieser Grundsätze erweist sich die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer durch das FG als rechtsfehlerhaft.

70

Abweichend von ihrer Berechnungsweise hätte die Vorinstanz –ausgehend vom günstigeren Sonderausgabenabzug– die tarifliche Einkommensteuer (355 €) zunächst gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG um Steuerermäßigungen nach § 35a EStG bis auf 0 € mindern müssen und erst nachfolgend gemäß § 2 Abs. 6 Satz 2 den Zulageanspruch (154 €) hinzurechnen dürfen. Insoweit entsprach die Ermittlung durch das FA der bestehenden Rechtslage.

71

3. Ungeachtet des –bei isolierter Prüfung nach § 10a Abs. 2 EStG– günstigeren Sonderausgabenabzugs hat das FA zu Recht das für den Steuerpflichtigen insgesamt niedrigere steuerliche Ergebnis ohne diesen Abzug festgesetzt.

72

a) Zwar ergibt –wie oben dargelegt– die Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG, dass die durch den Sonderausgabenabzug bewirkte steuerliche Entlastung vorliegend höher als der Zulageanspruch ist.

73

b) Die für diesen Fall gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge einer Hinzurechnung des Zulageanspruchs würde aber –aufgrund der nach den Umständen nur eingeschränkt möglichen Berücksichtigung der Steuerermäßigungen nach § 35a EStG– zu einer höheren festzusetzenden Einkommensteuer führen (154 €) als bei Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer ohne Sonderausgabenabzug, jedoch unter vollständigem Abzug der Steuerermäßigungen (107 €).

74

c) Das FA hat daher zu Recht –dem Zweck der Günstigerprüfung entsprechend– das für den Steuerpflichtigen insgesamt günstigere steuerliche Ergebnis festgesetzt.

75

aa) Insoweit hält der erkennende Senat eine entsprechende teleologische Reduktion des § 10a Abs. 2 EStG für geboten.

76

bb) Eine teleologische Reduktion zielt darauf ab, den Geltungsbereich einer Norm mit Rücksicht auf ihren Gesetzeszweck gegenüber dem zu weit gefassten Wortlaut einzuschränken. Gegenüber einer vom Wortlaut einer Rechtsnorm abweichenden Auslegung ist allerdings besondere Zurückhaltung geboten; sie kann nur in Betracht kommen, wenn die auf den Wortlaut abstellende Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde. Dagegen ist es nicht Aufgabe einer lückenfüllenden Interpretation –zu der auch die teleologische Reduktion gehört–, rechtspolitische Fehler zu korrigieren, das heißt, das Gesetz zu verbessern, obwohl es sich –gemessen an seinem Zweck– noch nicht als planwidrig unvollständig oder zu weitgehend erweist (vgl. BFH-Urteile vom 12.06.2018 –  VIII R 14/15, BFHE 262, 66, BStBl II 2018, 755, Rz 32, m.w.N. und vom 14.05.2019 –  VIII R 20/16, BFHE 264, 459, BStBl II 2019, 586, Rz 28).

77

cc) Nach Maßgabe dessen ist eine teleologische Reduktion des § 10a Abs. 2 EStG dahin vorzunehmen, dass ein Sonderausgabenabzug der Beiträge zur zusätzlichen Altersvorsorge nicht vorzunehmen ist, wenn die festzusetzende Einkommensteuer –nach Hinzurechnung der Zulage– im Falle des Sonderausgabenabzugs höher ausfiele als ohne einen solchen Abzug.

78

Denn es wäre sinnwidrig, wenn gerade die uneingeschränkte Anwendung des § 10a Abs. 2 EStG, der nur im Falle eines steuerlichen „günstiger“ wirkenden Sonderausgabenabzugs eine Hinzurechnung des Zulageanspruchs –zur Vermeidung einer Doppelbegünstigung– vorsieht und ansonsten unterbleibt, bei einer Gesamtbetrachtung sogar zu einem steuerlichen Nachteil beim Steuerpflichtigen führen würde.

79

Der Gesetzgeber geht bei der Günstigerprüfung erkennbar davon aus, für den Fall, dass sich durch den Sonderausgabenabzug ein den Zulageanspruch übersteigender Steuervorteil auf der Ebene der tariflichen Einkommensteuer errechnet, wirke sich dieser auch bei der festzusetzenden Einkommensteuer entsprechend vorteilhaft aus. Seiner Vorstellung nach kann sich durch die „Günstigerprüfung“ allenfalls eine steuerliche Besserstellung, jedoch niemals eine Schlechterstellung ergeben.

80

Damit wäre es unvereinbar, die in § 10a Abs. 2 Satz 1 EStG genannte Rechtsfolge eines im Ergebnis nicht „günstiger“ wirkenden Sonderausgabenabzugs auch bei vorliegendem Sachverhalt eingreifen zu lassen. In diesem Fall scheidet vielmehr ein Sonderausgabenabzug aus (vgl. Satz 2 der Vorschrift).

81

dd) Allein dieses Ergebnis vermeidet auch eine sinnwidrige Anwendung des § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG.

82

(1) Danach stellt das Finanzamt im Fall des Abs. 2 Satz 1 –also des günstigeren Sonderausgabenabzugs– die über den Zulageanspruch nach Abschn. XI hinausgehende Steuerermäßigung gesondert fest und teilt diese der zentralen Stelle (§ 81 EStG) mit, also der Deutschen Rentenversicherung Bund (Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen –ZfA–).

83

(2) Die nach dieser Vorschrift vorzunehmende gesonderte Feststellung der über den Zulageanspruch hinausgehenden Steuerermäßigung und Mitteilung gegenüber der ZfA dient dem Zweck, dass bei einer späteren schädlichen Verwendung des aufgebauten Altersvorsorgevermögens die bis dahin gewährte Förderung durch Zulage und Sonderausgabenabzug auf verfahrensrechtlich einfache Weise wieder rückgängig gemacht werden kann (vgl. Hahner in Bordewin/Brandt, § 10a EStG Rz 99).

84

(3) Auch insoweit erschiene es widersinnig, einen im Ergebnis steuerlich nachteiligen Sonderausgabenabzug durchzuführen und damit den Steuerpflichtigen grundlos dem Risiko einer späteren Rückforderung auszusetzen.

85

ee) Schließlich wird auch der Steuerpflichtige den Sonderausgabenabzug in der Anlage AV in der Erwartung beantragen, es könne sich bei der Günstigerprüfung nach § 10a Abs. 2 EStG zumindest kein steuerlich nachteiliges Ergebnis für ihn ergeben. Andernfalls hätte er von seinem Wahlrecht (vgl. Senatsurteil vom 19.01.2022 –  X R 32/20, BFHE 276, 9, BStBl II 2022, 617, Rz 12 ff.) keinen solchen Gebrauch gemacht.

86

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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BFH: Kein Billigkeitserlass von Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer auf Einkünfte eines Erben wegen langjähriger Dauer eines Erbscheinverfahrens

Der Umstand, dass der Steuerpflichtige aufgrund der unklaren Erbrechtssituation nicht in der Lage war, die Besteuerungsgrundlagen früher zu ermitteln bzw. zu schätzen und eine Vorauszahlung auf die zu erwartenden Steuern zu leisten, um eine Zinsentstehung zu verhindern oder jedenfalls zu reduzieren, begründet keine sachliche Unbilligkeit. So der BFH (Az. X R 12/21).

BFH, Urteil X R 12/21 vom 09.04.2025

Leitsatz

  1. Auch ein Grundlagenbescheid, der viele Jahre nach Ende des Veranlagungszeitraums erlassen oder geändert wird, kann zu einer Zinspflicht unter Anwendung der Karenzzeit des § 233a Abs. 2 der Abgabenordnung führen (Festhaltung am Senatsurteil vom 01.06.2016 – X R 66/14, BFH/NV 2016, 1688, Rz. 29 f.).
  2. Der Umstand, dass der Steuerpflichtige aufgrund der unklaren Erbrechtssituation nicht in der Lage war, die Besteuerungsgrundlagen früher zu ermitteln beziehungsweise zu schätzen und eine Vorauszahlung auf die zu erwartenden Steuern zu leisten, um eine Zinsentstehung zu verhindern oder jedenfalls zu reduzieren, begründet keine sachliche Unbilligkeit.
  3. Die Freistellung von der Zahlung der Steuer rechtfertigt im Hinblick auf den hierdurch typisierend anzunehmenden Liquiditäts- und Zinsvorteil hinsichtlich der Steuerschuld die Festsetzung von Nachzahlungszinsen. Auf die fehlende Nutzungsmöglichkeit der Nachlassgegenstände durch den Steuerpflichtigen während des Erbscheinverfahrens kommt es nicht an.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 19.05.2021 – 4 K 2381/20 AO wird als unzulässig verworfen, soweit der Erlass über 29.218 € hinaus begehrt wird.

Im Übrigen wird die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

A.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Erbe zu 1/2 nach dem am 06.10.2012 verstorbenen Erblasser (E). E hinterließ verschiedene Testamente. Nach seinem Tod kam es zu langjährigen Streitigkeiten um die Erbfolge und insbesondere um die Frage, ob E bei Abfassung der jeweiligen letztwilligen Verfügung testierfähig gewesen war. Am 28.08.2018 wurde schließlich ein Erbschein erteilt, der den Kläger –neben zwei weiteren Erben– als Erbe zu 1/2 auswies.

2

In den an die Erbengemeinschaft gerichteten Feststellungsbescheiden für die Jahre 2012 bis 2017 vom 09.08.2019 wurden dem Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus Vermietung und Verpachtung sowie Kapitaleinkünfte zugerechnet. Infolgedessen erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt –FA–) am 28.10.2019 gegenüber dem Kläger geänderte Einkommensteuerbescheide, in denen unter anderem Zinsen nach § 233a der Abgabenordnung (AO) in folgender Höhe festgesetzt wurden:

2012 21.071 €
2013 15.221 €
2014 – 1.419 €
2015 – 644 €
2016 – 300 €
2017 – 177 €
Saldo 33.752 €
3

Der Kläger beantragte am 02.12.2019 „den Erlass der gesamten Nachzahlungs- sowie Erstattungszinsen der Jahre 2012 bis 2017 von zusammen 33.752,00 € aus sachlichen Billigkeitsgründen“. Zur Begründung führte er an, bis in das Jahr 2019 sei nicht klar gewesen, wer an der Erbengemeinschaft beteiligt sei und wem welche Einkünfte zuzurechnen seien. Ihn treffe an der Verzögerung keine Schuld.

4

Das FA lehnte einen Erlass mit Bescheid vom 07.01.2020 ab. Die festgesetzten Zinsen seien eine Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung, zumal der Zinsvorteil des Steuerschuldners zugleich einen Zinsnachteil des Steuergläubigers nach sich ziehe. Verschuldensfragen seien auf beiden Seiten irrelevant.

5

Den hiergegen eingelegten Einspruch begründete der Kläger damit, dass die in den Jahren 2012 und 2013 entstandenen Gewinne aus Beteiligungen, die ihrerseits noch auf Erklärungen des E zurückzuführen seien, über Jahre keinem Erben hätten zugeordnet werden können. Während dieses Zeitraums sei ihm kein Vorteil aus dem Nachlass entstanden. Die Testamentsvollstreckung sei einem Rechtsanwalt übertragen gewesen. Nachdem er im Herbst 2019 von einem anderen Erben über voraussichtlich hohe Steuerschulden informiert worden sei, habe er umgehend seinen Steuerberater eingeschaltet und aufgrund dessen Berechnungen wenige Tage vor Ergehen der geänderten Einkommensteuerbescheide circa 170.000 € an das FA überwiesen. Ein früherer Ausgleich der Steuern sei ihm nicht möglich gewesen.

6

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, dem Wortlaut nach gerichtet auf Verpflichtung zum Erlass der Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer für die Jahre 2012 bis 2017 in Höhe von insgesamt 33.752 €, wies das Finanzgericht (FG) ab (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG– 2021, 1349) und führte zur Begründung im Wesentlichen aus:

7

Die Ablehnung des auf sachliche Unbilligkeit gestützten Erlassantrags durch das FA gemäß § 227 AO sei nicht ermessensfehlerhaft erfolgt. Denn die Verzinsung entspreche vorliegend den Wertungen des Gesetzes.

8

Die Verzinsungsregelung in § 233a AO bezwecke einen typisierenden Ausgleich für die Liquiditätsverschiebungen, die sich daraus ergäben, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig würden. Die Gründe hierfür und etwaige Verschuldensfragen seien nach der gesetzlichen Konzeption irrelevant. Dies gelte auch für (Änderungs-)Festsetzungen, die auf einem Grundlagenbescheid beruhten und möglicherweise erst viele Jahre nach Ende des Veranlagungszeitraums erfolgten. Anders als etwa bei Änderungen aufgrund rückwirkender Ereignisse (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 233a Abs. 2a AO) habe der Gesetzgeber einen abweichenden Zinslauf für eine Änderung aufgrund eines Grundlagenbescheids gerade nicht vorgesehen. Das Gesetz nehme es somit bewusst in Kauf, dass in diesen Fällen über einen langen Zeitraum Erstattungs- oder Nachzahlungszinsen nach § 233a AO entstehen könnten. Eine Billigkeitskorrektur widerspräche daher dem gesetzgeberischen Konzept.

9

Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) in einer Entscheidung zusätzlich darauf abgestellt habe, dass es dem Steuerpflichtigen möglich gewesen sei, die festzustellenden Besteuerungsgrundlagen bei der Einkommensteuererklärung bereits vorab im Schätzungswege nach § 155 Abs. 2 i.V.m. § 162 Abs. 5 AO anzugeben und so die Zinsentstehung zu verhindern beziehungsweise zu reduzieren (Urteil vom 03.12.2019 –  VIII R 25/17, BFHE 266, 501, BStBl II 2020, 214, Rz 23; offengelassen im Senatsurteil vom 01.06.2016 –  X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, Rz 35), führe dies zu keiner anderen Beurteilung. Zwar mache der Kläger glaubhaft geltend, ihm sei erst kurz vor Ergehen der geänderten Steuerbescheide eine sachgerechte Schätzung möglich gewesen, die zur Vorabzahlung von 170.000 € geführt habe. Gleichwohl begründe dieser Umstand aus sich heraus keine sachliche Unbilligkeit. Der BFH habe die genannte Erwägung insbesondere herangezogen, um zu unterstreichen, warum der Gesetzgeber die Fälle der rückwirkenden Ereignisse –in denen eine vorherige Schätzung per se unmöglich sei– hinsichtlich des Zinslaufs durch die Sonderregelung des § 233a Abs. 2a AO anders behandele als die Fälle des Ergehens von Grundlagenbescheiden.

10

Maßgeblich für diese Differenzierung sei nicht, dass in Fällen von Grundlagenbescheiden stets eine zutreffende Schätzung der Besteuerungsgrundlagen im Vorhinein möglich wäre. Vielmehr sei die Sonderregelung des § 233a Abs. 2a AO eingeführt worden, um den Bedenken des VIII. Senats des BFH Rechnung zu tragen, der zuvor Zweifel an der uneingeschränkten Anwendung des § 233a AO bei rückwirkenden Ereignissen geäußert habe (BTDrucks 13/5952, S. 56, unter Verweis auf BFH-Beschluss vom 27.09.1994 –  VIII B 21/94, BFHE 175, 516, unter 3.). Der Beschluss des VIII. Senats habe sich wiederum auf die Überlegung gestützt, dass in Fällen rückwirkender Ereignisse eine frühere Steuerfestsetzung stets ausgeschlossen sei, so dass von einem Liquiditätsvorteil des Steuerschuldners beziehungsweise Liquiditätsnachteil des Steuergläubigers nicht die Rede sein könne (BFH-Beschluss vom 27.09.1994 –  VIII B 21/94, BFHE 175, 516, unter 3.b aa und bb). Gleiches solle für die ebenfalls von § 233a Abs. 2a AO erfassten Fälle des Verlustrücktrags gelten (BTDrucks 13/5952, S. 56).

11

Ungeachtet dessen, dass der VIII. Senat des BFH an der im Beschluss vom 27.09.1994 –  VIII B 21/94 (BFHE 175, 516) geäußerten Rechtsauffassung später nicht mehr festgehalten habe (vgl. Urteil vom 27.01.1998 –  VIII R 47/96, BFHE 185, 563, BStBl II 1998, 498, unter II., unter Bezugnahme auf die abweichende Entscheidung des I. Senats im Urteil vom 02.07.1997 –  I R 25/96, BFHE 183, 33, BStBl II 1997, 714, unter II.2.), lasse sich diese Überlegung jedenfalls auf Fälle, in denen ein Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid bestehe, nicht übertragen. Denn dort sei eine frühere Festsetzung nicht per se ausgeschlossen; sie hänge vielmehr vom Zeitpunkt des Ergehens des Grundlagenbescheids ab. Ergehe der Grundlagenbescheid zu einem späteren Zeitpunkt, trete im Vergleich zu einem früheren Ergehen des Grundlagenbescheids ein Liquiditätsvorteil oder -nachteil ein. Die gesetzgeberische Entscheidung, aus diesem Grund ausschließlich für Fälle eines rückwirkenden Ereignisses beziehungsweise eines Verlustrücktrags eine Sonderregelung zu schaffen, würde konterkariert, wenn man bei anderen Fallgestaltungen eine Gleichbehandlung mit den Fällen des § 233a Abs. 2a AO herstellen würde, indem man –entgegen der Grundausrichtung des § 233a AO– im Billigkeitswege die Ursache der verspäteten Steuerfestsetzung berücksichtigte.

12

Auch der Umstand, dass der Kläger nach seinem Vortrag erst 2018 und damit circa sechs Jahre nach dem Erbfall als Erbe festgestanden und bis zu diesem Zeitpunkt keine Zugriffsmöglichkeit auf Nachlassgegenstände gehabt habe, begründe keine sachliche Unbilligkeit. Soweit sich der Kläger darauf berufe, er habe während der Jahre 2012 bis 2018 keine Nutzungen aus dem Kapital ziehen können, verkenne er den Bezugspunkt des § 233a AO: Die Vorschrift betreffe den Zins- beziehungsweise Liquiditätsvorteil aus den Geldbeträgen, die für die Steuerzahlung hätten verwendet werden müssen. Diese Steuerzahlung habe der Kläger nicht schon nach Ablauf der Karenzzeit des § 233a Abs. 2 Satz 1 AO in den Jahren 2013 beziehungsweise 2014, sondern erst 2019 zu leisten gehabt, so dass bei typisierender Betrachtung ein Zinsvorteil durchaus entstanden sei. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob die fraglichen Steuerbeträge aus (Bar-)Mitteln der Erbschaft hätten beglichen werden können oder nicht. Soweit nämlich bei einer früheren Steuerfestsetzung die Steuerzahlung hätte fremdfinanziert werden müssen, so wäre hierin –ohne dass es bei der typisierenden Regelung des § 233a AO darauf ankäme– erst recht der durch die spätere Festsetzung entstehende Zinsvorteil erkennbar geworden.

13

Mit der hiergegen eingelegten Revision wendet sich der Kläger gegen die vom FG vorgenommene Auslegung des § 233a AO.

14

Das FG habe die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Rechtsgrundsätze zwar erkannt und teilweise auch in den Text des angefochtenen Urteils aufgenommen, den zugrunde liegenden Sachverhalt aber unzutreffend gewürdigt. Denn es habe zu Unrecht keine sachliche Unbilligkeit darin gesehen, dass er vorliegend nicht in der Lage gewesen sei, die Besteuerungsgrundlagen früher –vor Beginn des Zinslaufs– zu ermitteln beziehungsweise zu schätzen und durch frühere Entrichtung der (noch unbekannten) Steuern die Zinsentstehung zu verhindern oder jedenfalls zu reduzieren.

15

Der Gesetzgeber habe für Fälle eines rückwirkenden Ereignisses in § 233a Abs. 2a AO eine besondere Zinsregelung geschaffen, da hier –worauf das FG selbst zu Recht abstelle– eine vorherige Schätzung per se unmöglich sei. Eine solche tatsächliche Unmöglichkeit liege allerdings im Streitfall ebenfalls vor. Dem Kläger sei es nicht möglich gewesen, zu einem früheren Zeitpunkt die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln und eine entsprechende Vorauszahlung auf die zu erwartenden Steuernachzahlungen zu leisten, zumal er bis zur Erlangung des Erbscheins (28.08.2018) nicht sicher gewesen sei, dass er überhaupt in die Erbenstellung eintreten und ihn die Verpflichtung zur Entrichtung der Steuern treffen werde.

16

Des Weiteren sei die Verzinsung der durch ihn nachzuzahlenden Beträge auch deshalb sachlich unbillig, da sie keinen Liquiditäts- beziehungsweise Zinsvorteil ausgleichen könne. Denn ein solcher Vorteil sei bei ihm –entgegen der Darstellung des FG– nicht entstanden. Die Ausführungen des FG im angefochtenen Urteil, die einen fiktiven Sachverhalt unterstellten, blieben ihm unverständlich.

17

Ebenso wie in den Fällen des rückwirkenden Ereignisses nach § 233a Abs. 2a AO habe er bis zur Ausstellung des Erbscheins noch nicht einmal die „reine Möglichkeit“ der Kapitalnutzung gehabt. Stehe aber zweifelsfrei fest, dass kein Vorteil oder Nachteil entstanden sei, könne ein solcher nicht ausgeglichen werden, mit der Folge, dass nach Maßgabe des BFH-Urteils vom 11.07.1996 –  V R 18/95 (BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259) die Zinsen zu erlassen seien. Da § 233a Abs. 2a AO seinem Wortlaut nach hier nicht unmittelbar eingreife, sei der Zielrichtung dieser Vorschrift im Rahmen des Erlassverfahrens Rechnung zu tragen.

18

Darüber hinaus rechtfertige sich der Erlass aufgrund eines groben Verschuldens des FA; dieser Gesichtspunkt sei jedenfalls bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung des FA durch das FG nicht berücksichtigt worden.

19

Auch wenn die Verschuldensfrage für die Anwendbarkeit des § 233a AO grundsätzlich unbeachtlich sei, habe dies das FG München mit Urteil vom 23.07.2002 – 2 K 4280/00 (EFG 2002, 1491) im Fall einseitigen, groben Verschuldens der Finanzbehörde anders gesehen. Vorliegend habe das FA durch seine Inaktivität dazu beigetragen, dass der Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach über lange Zeit nicht konkretisiert worden sei, obwohl die Finanzbehörde eine entsprechende Ermittlungspflicht von Amts wegen gehabt habe. Die ermittelten Besteuerungsgrundlagen des E hätten vom FA in einem Schätzungsbescheid berücksichtigt werden können, der über die „Rechtsfigur der unbekannten Erben“ nach § 1960 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) dem Nachlasspfleger gegenüber hätte bekannt gegeben werden können (dazu BFH-Urteil vom 17.06.2020 –  II R 40/17, BFHE 269, 442, BStBl II 2020, 850). Hierdurch hätte das FA den auf der Ebene des Klägers entstandenen Zinsnachteil beschränken können.

20

Schließlich beruhe das angegriffene Urteil auf einem Verfahrensfehler im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe versäumt, den tatsächlichen Sachverhalt adäquat aufzuklären. Denn soweit das FG darauf abstelle, dass dem Kläger ein typisierter Zinsvorteil zugutegekommen sei, hätte es insoweit einer Feststellung bedurft, dass es tatsächlich eine Nutzungsmöglichkeit auf seiner Ebene gegeben habe. Derartige Ermittlungen, hinsichtlich des Umfangs des Nachlasses sowie hinsichtlich der Möglichkeit der Nutzung des Kapitals, habe das FG nicht angestellt.

21

Der Kläger hatte im Rahmen seiner Revisionsbegründung vom 20.08.2021 zunächst beantragt, dem Antrag auf Erlass der Nachzahlungszinsen der Veranlagungszeiträume 2012 bis 2017 stattzugeben. Am 25.03.2024 hat das FA im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 08.07.2021 – 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282) und die nachfolgende Einfügung des § 238 Abs. 1a AO geänderte Bescheide für 2012 und 2013 über die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer erlassen, in denen die Nachzahlungszinsen auf 18.657 € (2012) beziehungsweise 13.101 € (2013) herabgesetzt worden sind. Auf entsprechende Anfrage des Senats hat der Kläger ausdrücklich erklärt, er halte an den in der Beschwerdebegründung vom 20.08.2021 gestellten Anträgen weiterhin fest.

22

Der Kläger beantragt demnach sinngemäß, das Urteil des FG Düsseldorf vom 19.05.2021 – 4 K 2381/20 AO aufzuheben und das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 07.01.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.08.2020 zu verpflichten, die Nachzahlungszinsen für die Jahre 2012 und 2013 insoweit zu erlassen, als sie die Erstattungszinsen für die Jahre 2014 bis 2017 übersteigen, insgesamt also im Umfang von 33.752 €.

23

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

24

Es hält die angefochtene Entscheidung für rechtsfehlerfrei.

25

Der Liquiditätsvorteil, den § 233a AO abschöpfen wolle, beziehe sich auf die zur Entrichtung der Steuer notwendigen Beträge, nicht auf den Anfall der Erbschaft. Das vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren behauptete (einseitige) grobe Verschulden des FA liege nicht vor. Ungeachtet der Frage, ob die Bekanntgabe der Einkommensteuerbescheide an den Nachlasspfleger als Vertreter der noch unbekannten Erben überhaupt rechtlich zulässig gewesen wäre oder nicht außerhalb des Aufgabenkreises eines Nachlasspflegers liege, sei dies vorliegend jedenfalls tatsächlich nicht möglich gewesen. Denn das Nachlassgericht habe keinen Nachlasspfleger bestellt. Hierfür habe angesichts der angeordneten Testamentsvollstreckung auch das nach § 1960 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderliche Bedürfnis nicht bestanden. Der Umstand, dass das FA weder auf die Bestellung eines Nachlasspflegers hingewirkt noch Einkommensteuerbescheide gegenüber dem (nicht vorhandenen) Nachlasspfleger für die unbekannten Erben bekannt gegeben habe, begründe daher kein (grobes) Verschulden.

B.

26

Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.

I.

27

Die Revision ist unzulässig, soweit der Kläger sein ursprüngliches Klage- und Revisionsbegehren trotz objektiv eingetretener Erledigung aufrechterhalten hat.

28

1. Hat sich ein Rechtsstreit im Revisionsverfahren in der Hauptsache erledigt, wird die Revision dadurch unzulässig. Ein Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, wenn ein Ereignis, das nach Rechtshängigkeit eingetreten ist, alle streitbefangenen Sachfragen gegenstandslos gemacht hat (vgl. Senatsbeschluss vom 23.05.2016 –  X R 54/13, BFH/NV 2016, 1457, Rz 18 f.). Das kann der Erlass eines Abhilfebescheids sein, ist aber nicht darauf beschränkt (vgl. BFH-Beschluss vom 10.07.2024 –  III R 18/24, BFH/NV 2024, 1178, Rz 11; ähnlich BFH-Beschluss vom 24.06.1986 –  III R 293/84, BFH/NV 1986, 760). Ein Verfahren kann auch teilweise erledigt sein, wenn der Streitgegenstand, wie hier, teilbar ist.

29

2. Der Kläger hatte im Rahmen seiner Revisionsbegründung einen Antrag gestellt, den er zwar nicht ausdrücklich beziffert hatte, der aber bezifferbar und so zu verstehen war, dass er den Saldo aller für die Jahre 2012 bis 2017 festgesetzten Zinsen zu erlassen beantragt. Der Erlass von Erstattungszinsen (Erlass eines eigenen Anspruchs des Klägers gegen das FA) kommt mangels Beschwer nicht in Betracht. Da der Antrag gleichwohl die Jahre 2014 bis 2017 umfasst, legt ihn der Senat dahingehend aus, dass der Kläger ausschließlich den Erlass der Nachzahlungszinsen für die Jahre 2012 und 2013 und auch dies nur insoweit begehrte, als Letztere die Erstattungszinsen für die Jahre 2014 bis 2017 übersteigen. Dieser Saldo lässt sich anhand der vorliegenden Bescheide ohne Weiteres berechnen. Er beträgt 33.752 € und entspricht damit auch dem im FG-Verfahren gestellten Antrag.

30

3. Die Revision ist unzulässig geworden, soweit der Kläger trotz Minderung der festgesetzten Nachzahlungszinsen einen Erlass über einen Betrag von 29.218 € hinaus begehrt. Unter dem 25.03.2024 sind geänderte Zinsbescheide für 2012 und 2013 ergangen, mit denen das FA die Nachzahlungszinsen jeweils in geringerer Höhe als ursprünglich festgesetzt hat. Damit ist während des Revisionsverfahrens die Grundlage für das Erlassbegehren der Sache nach teilweise entfallen. Der Kläger hat daraufhin indes –trotz eines entsprechenden Hinweises des Senats– weder den Rechtsstreit (teilweise) in der Hauptsache für erledigt erklärt noch sein Klagebegehren entsprechend reduziert. Vielmehr hat er ausdrücklich weiterhin an den in der Revisionsbegründungsschrift gestellten Anträgen und damit an dem bislang begehrten Erlass der Nachzahlungszinsen im Umfang von insgesamt 33.752 € festgehalten.

31

Das bedeutet, dass die Revision nunmehr in dem Maße –mangels Beschwerunzulässig (geworden) ist, als durch die geänderten Zinsbescheide vom 25.03.2024 die festgesetzten Nachzahlungszinsen für 2012 auf 18.657 € und für 2013 auf 13.101 €, mithin auf insgesamt 31.758 €, gemindert wurden. Nach rechnerischem Abzug der Erstattungszinsen für 2014 bis 2017 in Höhe von 2.540 € umfasst das Erlassbegehren zulässigerweise nur noch einen Betrag in Höhe von 29.218 €. Im übersteigenden Maße von 4.534 € (33.752 € ./. 29.218 €) ist die Revision daher unzulässig geworden.

II.

32

Die Revision ist im Übrigen unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erlass der in Rede stehenden Nachzahlungszinsen hat und die Ablehnung des Erlassantrags durch das FA nicht ermessensfehlerhaft war. Die Erhebung der streitigen Nachzahlungszinsen ist nicht unbillig im Sinne des § 227 AO.

33

1. Die Finanzbehörden können nach § 227 AO Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

34

a) Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören nach § 37 Abs. 1 AO auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen, zu denen wiederum nach § 3 Abs. 4 AO auch Zinsen (§§ 233 bis 237 AO) zählen. Dem Erlass von Nachforderungszinsen nach § 233a AO steht nicht entgegen, dass § 233a AO im Gegensatz zu § 234 Abs. 2 AO für Stundungszinsen und § 237 Abs. 4 AO für Aussetzungszinsen keine ausdrückliche Ermächtigung zu Billigkeitsmaßnahmen enthält (vgl. BFH-Urteil vom 03.07.2014 –  III R 53/12, BFHE 246, 203, BStBl II 2017, 3, Rz 11, m.w.N.).

35

b) Die Entscheidung über den Erlass ist eine Ermessensentscheidung der Behörde und unterliegt deshalb gemäß § 102 FGO lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Zu prüfen ist daher bei einer Erlassablehnung nur, ob die Finanzbehörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Im Einzelfall kann der Ermessensspielraum aber so eingeengt sein, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht ist (sogenannte Ermessensreduzierung auf null). Ist nur der Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ermessensgerecht, kann das Gericht gemäß § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung zum Erlass aussprechen (vgl. Senatsurteil vom 08.10.2013 –  X R 3/10, BFH/NV 2014, 5, Rz 10 f.).

36

c) Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber eine andere Regelung getroffen hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, können keinen Billigkeitserlass rechtfertigen. Die Billigkeitsprüfung darf die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes nicht unterlaufen, sich andererseits auch nicht in Überlegungen zur richtigen Rechtsanwendung erschöpfen, da dann ein auf sachliche Billigkeitsgründe gestützter Erlass nach § 227 AO niemals möglich wäre. Diese Grundsätze gelten auch für den Erlass nach § 233a AO festgesetzter Zinsen (vgl. Senatsurteil vom 01.06.2016 –  X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, Rz 15, m.w.N.).

37

d) Zweck der Regelungen in § 233a AO ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zwar jeweils spätestens zum Jahresende entstehen, aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Insoweit beruht die Vorschrift auf der zulässig typisierenden Annahme, dass derjenige, dessen Steuer ganz oder zum Teil zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzt wird, gegenüber demjenigen, dessen Steuer bereits frühzeitig festgesetzt wird, einen Liquiditäts- und damit auch einen potentiellen Zinsvorteil hat. Dieser Vorteil ist umso größer, je höher der nachzuzahlende Betrag ist und je später die Steuer festgesetzt wird. Durch die Sollverzinsung sollen der Liquiditätsvorteil des Steuerpflichtigen und seine damit verbundene erhöhte steuerliche Leistungsfähigkeit abgeschöpft werden. Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich bestanden, ist grundsätzlich unbeachtlich. Daher greift die Regelung im Allgemeinen unabhängig davon, warum es zu einem Unterschiedsbetrag gekommen ist und ob und inwiefern tatsächlich die Liquiditätsvorteile genutzt wurden (vgl. Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 03.09.2009 – 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115, unter III.1.a bb (2) (b) und III.1.a cc; Senatsurteil vom 08.10.2013 –  X R 3/10, BFH/NV 2014, 5, Rz 14, m.w.N.).

38

2. Nach Maßgabe dessen hat das FG zu Recht eine fehlerhafte Ermessensausübung verneint. Die Entscheidung des FA, die Verzinsung sei nach den gesetzlichen Wertungen auch im vorliegenden Fall nicht unbillig, da der Kläger durch die späte Festsetzung der Einkommensteuer die Möglichkeit der Kapitalnutzung und daher einen Liquiditätsvorteil gehabt habe, lässt Ermessensfehler nicht erkennen.

39

a) Das FG hat diesbezüglich darauf hingewiesen, dass im Streitfall bei typisierender Betrachtung ein im Rahmen des § 233a AO relevanter Liquiditäts- beziehungsweise Zinsvorteil entstanden sei. Insoweit gehe es sinngemäß nicht um eine –vom Kläger mangels Zugriffsmöglichkeit verneinte– mögliche Kapitalnutzung der Nachlassgegenstände, sondern darum, dass der Kläger im Vergleich zu Steuerpflichtigen, deren Steuerfestsetzung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum zeitnah erfolgt sei, die zur Begleichung der Steuern erforderlichen Mittel nicht schon früher, sondern erst im Jahr 2019 habe aufwenden müssen, so dass sie ihm zur anderweitigen Nutzung zur Verfügung gestanden hätten. Im Falle einer erforderlich werdenden Fremdfinanzierung der Steuermittel liege der Liquiditätsvorteil in der Vermeidung eines frühzeitigen Anfalls von Schuldzinsen.

40

b) Diese Wertung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

41

aa) Dabei ist zunächst festzustellen, dass die finanzgerichtliche Würdigung verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist. Denn auf der Grundlage des –insoweit maßgeblichen– Rechtsstandpunktes des FG (Senatsurteil vom 22.02.2023 –  X R 8/21, BFHE 280, 104, BStBl II 2023, 811, Rz 60) war eine weitere Sachaufklärung dahingehend, ob beziehungsweise inwieweit tatsächlich für den Kläger eine Nutzungsmöglichkeit des Nachlasses bestand, entbehrlich.

42

bb) In der Sache entspricht es der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass die faktische Freistellung von der Zahlung der materiell-rechtlich zutreffenden Steuer grundsätzlich die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO rechtfertigt, ohne dass es auf den Grund dieser Freistellung ankäme (vgl. Senatsurteil vom 01.06.2016 –  X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, Rz 26, m.w.N.).

43

cc) Nichts anderes gilt, wenn Einkünfte Gegenstand einer gesonderten Feststellung sind. Ergeht ein Feststellungsbescheid, ist der Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO anzupassen. Die Folgeänderung des Einkommensteuerbescheids löst die Zinspflicht nach § 233a AO aus, selbst wenn der Feststellungsbescheid nicht früher hätte ergehen können. Dies begründet ebenfalls keine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 227 AO, sondern entspricht den Wertungen des Gesetzes.

44

(1) Der Zinslauf ist auch dann nach Maßgabe von § 233a Abs. 2 AO zu berechnen, wenn der Unterschiedsbetrag auf der Anpassung eines Einkommensteuerbescheids an einen Grundlagenbescheid beruht. Nicht maßgebend ist, wann der Grundlagenbescheid ergeht. Der Beginn des Zinslaufs ist nach § 233a Abs. 2a AO nur hinausgeschoben, wenn die Änderung einer Steuerfestsetzung auf einem rückwirkenden Ereignis oder einem Verlustabzug beruht. Der Erlass eines Grundlagenbescheids ist aber kein rückwirkendes Ereignis, was etwa aus der ausdrücklichen Nichtnennung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in § 233a Abs. 2a AO deutlich wird. Auch ein Grundlagenbescheid, der erst viele Jahre nach Ende des Veranlagungszeitraums erlassen oder geändert wird, kann daher zu einer Zinspflicht unter Anwendung der Karenzzeit des § 233a Abs. 2 AO führen (vgl. Senatsurteil vom 01.06.2016 –  X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, Rz 29 f.).

45

(2) Eine Billigkeitskorrektur dieses Ergebnisses ist nicht geboten, sondern widerspräche dem gesetzgeberischen Konzept. Der Feststellungsbeteiligte ist gegenüber dem Personenkreis des § 233a Abs. 2a AO nicht unangemessen benachteiligt. Anders als in jenen Fällen besteht im Allgemeinen die Möglichkeit, die in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen bereits im Rahmen der Einkommensteuererklärung im Schätzungswege nach § 162 Abs. 5 AO anzugeben und nach § 155 Abs. 2 AO auch vor Erlass des Grundlagenbescheids der Besteuerung zugrunde zu legen (vgl. Senatsurteil vom 01.06.2016 –  X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, Rz 31).

46

dd) In dem vorstehend genannten Urteil hat der Senat offengelassen, ob unter besonderen Umständen Billigkeitsmaßnahmen zu Gunsten eines Feststellungsbeteiligten angezeigt sein könnten, wenn eine sachgerechte Schätzung nach § 162 Abs. 5 AO Schwierigkeiten bereitet, die der Steuerpflichtige nicht zu vertreten hat (Senatsurteil vom 01.06.2016 –  X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, Rz 35). Er beantwortet diese Rechtsfrage ebenso wie das FG nunmehr dahin, dass allein derartige Schwierigkeiten einen Erlass nicht rechtfertigen.

47

(1) Der Gesetzgeber hat in § 233a AO stark typisierende Regelungen betreffend den Zinslauf getroffen und die Verzinsung bei Grundlagenbescheiden gerade nicht der besonderen Regelung nach Abs. 2a dieser Vorschrift unterworfen. Diese gesetzgeberische Entscheidung darf durch Billigkeitsmaßnahmen nicht unterlaufen werden. Der unterschiedliche Beginn des Zinslaufs in § 233a Abs. 2 AO einerseits und in § 233a Abs. 2a AO andererseits beruht auf dem Gedanken, dass ein Verlustabzug oder ein rückwirkendes Ereignis zu Gunsten wie zu Lasten des Steuerpflichtigen bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung noch nicht berücksichtigt werden konnte und daher weder der Steuerpflichtige noch das FA vor Eintritt des rückwirkenden Ereignisses beziehungsweise des Verlustes einen Liquiditätsvorteil oder -nachteil erlitten hat, den zu kompensieren das Ziel des § 233a AO wäre. Es erscheint daher nicht gerechtfertigt, einen Nachzahlungs- oder Erstattungsanspruch, soweit er auf dem rückwirkenden Ereignis oder dem Verlustrücktrag beruht, schon für den Zeitraum vor Eintritt des rückwirkenden Ereignisses oder des Verlustes zu verzinsen (vgl. BFH-Urteil vom 17.02.2010 –  I R 52/09, BFHE 229, 1, BStBl II 2011, 340, Rz 14). Der Gesetzgeber geht mithin typisierend davon aus, dass es in den Fällen des Verlustabzugs oder rückwirkenden Ereignisses für den Rückwirkungszeitraum zu keinem Liquiditätsvorteil oder -nachteil kommen kann. Vor dem entsprechenden Zeitpunkt haben die Voraussetzungen für eine entsprechende Steuerfestsetzung noch nicht vorgelegen.

48

(2) Diese Erwägung greift im Zusammenhang mit Grundlagenbescheiden nicht ein. Anfall und Umfang entsprechender Vor- beziehungsweise Nachteile hängen vom Zeitpunkt des Ergehens des Grundlagenbescheids ab. Dieser Zeitpunkt wiederum wird von zahlreichen, teilweise unwägbaren Faktoren beeinflusst, unter anderem davon, ob die Verfahrensbeteiligten um die Voraussetzungen für den Erlass des Grundlagenbescheids wissen. Zu diesen Faktoren gehört aber nicht, dass die Voraussetzungen für den Erlass des Grundlagenbescheids in der Sache noch nicht vorlägen, sofern nicht der Grundlagenbescheid selbst auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO beruht. Die unterschiedslos und ohne konkrete Prüfung des Einzelfalls angeordnete Verzinsung der im anzupassenden Folgebescheid festgesetzten Einkommensteuer gleicht daher lediglich im Wege der Typisierung die Zinsvorteile aus, die durch die geschilderten Unwägbarkeiten entstehen. Dabei konnte der Gesetzgeber –wie vom FG zutreffend hervorgehoben– davon ausgehen, dass bei Grundlagenbescheiden eine frühere Festsetzung nicht schon verfahrens- und materiell-rechtlich ausgeschlossen ist. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zu den Fällen des § 233a Abs. 2a AO.

49

ee) Die Frage der grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen in § 233a AO stellt sich in diesem Zusammenhang nicht.

50

Denn Billigkeitsmaßnahmen –wie die hier in Rede stehende– dürfen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestands abhelfen. Daraus folgt, dass mit verfassungsrechtlich gebotenen Billigkeitsmaßnahmen nicht die Geltung des Gesetzes unterlaufen werden kann. Müssten solche Maßnahmen ein Ausmaß erreichen, dass sie die allgemeine Geltung des Gesetzes aufhöben, wäre das Gesetz als solches verfassungswidrig (vgl. Senatsbeschluss vom 19.05.2011 –  X B 184/10, BFH/NV 2011, 1659, Rz 14).

51

Im Übrigen vermag der Senat auch nicht zu erkennen, dass die gesetzlichen Vorschriften im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes die Grenzen der zulässigen Typisierung (vgl. dazu BFH-Urteil vom 11.05.2023 –  III R 9/22, BFHE 280, 465, BStBl II 2023, 861, Rz 30) überschritten.

52

ff) Eine punktuelle Billigkeitskorrektur ist auch nicht zur Vermeidung einer Übermaßbesteuerung geboten (vgl. BFH-Urteil vom 06.11.2002 –  V R 75/01, BFHE 200, 26, BStBl II 2003, 115, unter II.6.).

53

(1) Zwar ist nach der Rechtsprechung des BFH für einen Ausgleich in Form einer Verzinsung der Steuernachforderung kein Raum, wenn zweifelsfrei feststeht, dass ein Steuerpflichtiger durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil erlangt hatte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 30.10.2001 –  X B 147/01, BFH/NV 2002, 505, unter 4.b, m.w.N., und vom 14.01.2010 –  X B 64/09, BFH/NV 2010, 1233, Rz 17; anknüpfend an das von dem Kläger herangezogene BFH-Urteil vom 11.07.1996 –  V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259).

54

(2) Das steht aber nicht bereits dann fest, wenn ein Grundlagenbescheid aus Gründen jeglicher Art jenseits des § 233a Abs. 2a AO noch gar nicht ergehen konnte und auch eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen im Einzelfall nicht möglich ist. Der Liquiditätsvorteil, der dadurch entsteht, dass eine Schuld später zu zahlen ist, entsteht auch dann, wenn sie nicht früher hätte gezahlt werden können. Auf die Frage, ob die Grundlagenbescheide im Streitfall früher hätten ergehen können, kommt es daher nicht an. Aus welchem verfassungsrechtlichen Grunde es dem Steuerpflichtigen stets möglich sein muss, die Entstehung von Nachzahlungszinsen durch sachgerechte Schätzung und (freiwillige) Zahlung der voraussichtlichen Steuerschuld zu vermeiden, andernfalls er –trotz des erlangten Liquiditätsvorteils– einen Anspruch auf einen Erlass dieser Zinsen haben sollte, erschließt sich dem erkennenden Senat nicht.

55

(3) Es kommt deshalb nicht darauf an, ob dem FA, wie der Kläger behauptet, ein (grobes) Verschulden im Hinblick auf den späten Erlass der Grundlagenbescheide trifft. Ein Verschulden ist für Zwecke des § 233a AO –wie das FG im angefochtenen Urteil zutreffend ausführt– ohnehin auf beiden Seiten des Steuerschuldverhältnisses prinzipiell irrelevant (vgl. BFH-Beschluss vom 01.09.2008 –  IV B 137/07, BFH/NV 2009, 200, unter II.3.a). Vor diesem Hintergrund bestand für das FG keine Veranlassung, auf diesen –vom Kläger erstmals im Rahmen des Revisionsverfahrens geäußerten– Gesichtspunkt von sich aus einzugehen.

56

gg) Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers, die Erbscheinerteilung stelle ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Ob die Zinsen nach § 233a Abs. 2 AO oder nach § 233a Abs. 2a AO zu berechnen sind, ist eine Frage der materiell-rechtlichen Richtigkeit der Zinsfestsetzung, nicht hingegen der Billigkeit, und kann deshalb im Erlassverfahren nicht verfolgt werden.

57

Der Senat merkt lediglich ergänzend an, dass die Entscheidung darüber, ob ein rückwirkendes Ereignis vorliegt, im Streitfall auch nicht im Verfahren betreffend die Zinsfestsetzung, sondern im Verfahren über die Grundlagenbescheide zu treffen wäre.

58

(1) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Diese Regelung greift –wie der Kläger selbst erkennt– vorliegend unmittelbar nicht ein. Der Steuerbescheid, hier der Einkommensteuerbescheid, der seinerseits Grundlage der Verzinsung ist, wurde nicht auf dieser Rechtsgrundlage, sondern aufgrund der Bindungswirkung des geänderten Grundlagenbescheids angepasst. Käme es darauf an, wäre ein Fall des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gegeben.

59

(2) Allerdings knüpft der für die Verzinsung maßgebliche § 233a Abs. 2a AO nicht unmittelbar an die Voraussetzungen der Korrekturnorm, sondern daran an, ob die Steuerfestsetzung auf der „Berücksichtigung“ eines rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO) „beruht“. Die Bezugnahme auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO in dem in § 233a Abs. 2a AO enthaltenen Klammerzusatz betrifft nur die Frage, ob ein rückwirkendes Ereignis vorliegt; sie bedeutet nicht, dass auch die verfahrensrechtlichen Erfordernisse dieser Vorschriften erfüllt sein müssten (vgl. BFH-Urteile vom 18.05.1999 –  I R 60/98, BFHE 188, 542, BStBl II 1999, 634, unter II.2.a cc; vom 12.07.2017 –  I R 86/15, BFHE 259, 200, BStBl II 2018, 138, Rz 16; Klein/Werth, AO, 18. Aufl., § 233a Rz 31; BeckOK AO/Oosterkamp, 29. Ed. 24.07.2024, AO § 233a Rz 27).

60

(3) Soweit das Wort „beruht“ als Ursächlichkeit im weiteren Sinne dahingehend verstanden werden könnte, dass es für die Anwendung des § 233a Abs. 2a AO genügte, wenn das rückwirkende Ereignis –über einen Grundlagenbescheid vermittelt– (mittelbar) bei der Steuerfestsetzung im Folgebescheid berücksichtigt wird, lägen vorliegend aber die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen dafür nicht vor.

61

(a) Es kann offenbleiben, ob die (erstmalige beziehungsweise nachträgliche) Erbscheinerteilung überhaupt ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellt (so FG München, Urteil vom 28.06.1990 – 10 K 10070/87, EFG 1991, 5, unter 1., für die Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer; BFH-Urteil vom 29.05.2008 –  IX R 46/06, BFH/NV 2008, 1479, unter II.2., für die Einkommensteuer, ohne Begründung) oder nur zur Änderung nach § 173 AO wegen Vorliegens eines neuen Beweismittels berechtigt (vgl. Frotscher in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 175 AO Rz 97; Fischer in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, 8. Aufl., § 3 Rz 102 f.). Der Senat neigt insoweit jedoch der Auffassung zu, dass sich die einkommensteuerrechtliche Zurechnung der Einkünfte aus dem (materiellen) Erbrecht ergibt, sich also danach richtet, wer tatsächlich Erbe geworden ist. Da der Erbschein lediglich eine starke Vermutung begründet (vgl. § 2365 BGB), besteht auch keine strikte Bindung der Finanzbehörden an den Inhalt des Erbscheins (vgl. BFH-Urteil vom 22.11.1995 –  II R 89/93, BFHE 179, 436, BStBl II 1996, 242, unter II.1.).

62

(b) Die Entscheidung darüber, ob die Änderung eines Gewinnfeststellungsbescheids auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO beruht, wäre jedoch im Feststellungsverfahren –erforderlichenfalls durch den Erlass eines Ergänzungsbescheids (§ 179 Abs. 3 AO)-zu treffen (vgl. BFH-Urteil vom 19.03.2009 –  IV R 20/08, BFHE 225, 292, BStBl II 2010, 528, unter II.2.a bb; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler –HHSp–, § 233a AO Rz 113). Eine entsprechende Feststellung ist im Streitfall nicht getroffen worden. Ob dies noch möglich ist, braucht der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu klären.

63

hh) Der begehrte Erlass ist auch nicht wegen der Höhe des Zinssatzes zu gewähren. Den verfassungsrechtlichen Zweifeln hieran hat das BVerfG zwischenzeitlich durch den Beschluss vom 08.07.2021 – 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282) Rechnung getragen. Die Zinsbescheide sind entsprechend geändert worden. Es besteht weder Raum noch Anlass für eine weitere Reduktion im Billigkeitswege.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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Erledigt sich der Rechtsstreit, der wegen des Billigkeitserlasses geführt wird, dadurch, dass der den streitigen Anspruch regelnde Steuerbescheid aus Rechtsgründen aufgehoben oder geändert wird, so ist in der dann gemäß den § 143 Abs. 1, § 138 Abs. 1 FGO zu treffenden Entscheidung über die Kosten des die Verpflichtungsklage betreffenden Verfahrens der Rechtsgedanke des § 138 Abs. 2 FGO anwendbar (vgl. von Groll in HHSp, § 227 AO Rz 401; BFH-Beschluss vom 24.06.1986 –  III R 293/84, BFH/NV 1986, 760, unter 3.).

66

Vorliegend hat der Kläger allerdings –wie oben dargelegt– trotz ausdrücklichen Hinweises des Senats, den Revisionsantrag an die geänderten Zinsfestsetzungen für 2012 und 2013 anzupassen, an dem ursprünglichen Erlassbegehren in vollem Umfang festgehalten, ohne den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt zu erklären.

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Dem Senat ist es daher verwehrt, bei der Kostenentscheidung –dem Rechtsgedanken des § 138 Abs. 2 FGO entsprechend– zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass das FA mit der Minderung der Zinsfestsetzungen dem Begehren des Klägers teilweise der Sache nach entsprochen hat. Auch insoweit können daher die Kosten des Revisionsverfahrens nicht dem FA auferlegt werden.

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Urteil zu Solaranlagen im Weltkulturerbe Goslar

Nach den geltenden Regelungen des Bundes- und Landesrechts müssen die Behörden Solaranlagen in aller Regel auf denkmalgeschützten Gebäuden genehmigen. Die Nutzung erneuerbarer Energien habe weitgehend Vorrang. Für „atypische Situationen“ sehe das Gesetz aber Ausnahmen vor- wie im vorliegenden Fall beim VG Braunschweig (Az. 2 A 21/23).

VG Braunschweig, Pressemitteilung vom 25.06.2025 zum Urteil 2 A 21/23 vom 25.06.2025

Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat heute die Klage zweier Hauseigentümer abgewiesen, die eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach ihres Gebäudes in der als Denkmal geschützten und von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannten Altstadt Goslars errichten wollten. Die 2. Kammer stellt in ihrem Urteil fest: Nach den geltenden Regelungen des Bundes- und Landesrechts müssen die Behörden Solaranlagen in aller Regel auf denkmalgeschützten Gebäuden genehmigen. Die Nutzung erneuerbarer Energien habe weitgehend Vorrang, in der weitaus größten Zahl der Fälle bestehe deswegen ein Rechtsanspruch auf Genehmigung von Solaranlagen auf denkmalgeschützten Gebäuden. Für „atypische Situationen“ sehe das Gesetz aber Ausnahmen vor. Das gelte für besonders wertvolle Denkmäler und bei besonders schwerwiegenden Eingriffen in ein Denkmal. In diesen Fällen sei eine Abwägung erforderlich.

Ein solcher (seltener) Ausnahmefall liege hier vor: Das Gebäude der Kläger sei als Bestandteil des UNESCO-Weltkulturerbes in besonderem Maße schutzbedürftig. Zusätzlich liege in der Installation der Anlage nach der fachlichen Einschätzung des zum Verfahren beigeladenen Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege (NLD) auch ein besonders schwerer Eingriff in das Denkmal vor. Das Gesamterscheinungsbild der zusammenhängenden historischen Bebauung, die den Denkmalwert hier gerade ausmache, würde nach der Darstellung des NLD durch die Installation der Solaranlage erheblich gestört werden. Das Gebäude sei aus dem öffentlichen Straßenraum heraus wahrnehmbar und die Solaranlage würde sich außerdem durch die vorgesehene dunkle Farbe deutlich von dem Dachgebilde abheben.

Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts folgte nach einer ausführlichen mündlichen Verhandlung der fachlichen Einschätzung des NLD. Weil hier ein besonders schutzwürdiges Denkmal (die Goslarer Altstadt als Gruppendenkmal) beeinträchtigt sei und außerdem ein besonders schwerwiegender Eingriff vorliege, überwiege der Denkmalschutz in diesem besonderen Fall ausnahmsweise das Interesse an der Nutzung erneuerbarer Energien. Zur Begründung weist die Kammer auch auf die Präzedenzwirkung hin, die eine Genehmigung hätte: In allen anderen Fällen dieser Art müssten dann auch Solaranlagen genehmigt werden; dies würde die historische Dachlandschaft der Altstadt weitgehend verändern. Gegen das Urteil steht den Klägern noch das Rechtsmittel der Berufung beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht offen.

Quelle: Verwaltungsgericht Braunschweig

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Entwurf – Einführung der obligatorischen elektronischen Rechnung bei Umsätzen zwischen inländischen Unternehmern ab dem 1. Januar 2025

Seit dem 1. Januar 2025 ist bei Umsätzen zwischen inländischen Unternehmen verpflichtend eine zu verwenden. Ein erstes BMF-Schreiben zu dem Thema wurde am 15. Oktober 2024 veröffentlicht. Das schon damals angekündigte zweite BMF-Schreiben liegt nunmehr als Entwurf vor und wurde den Verbänden am 25. Juni 2025 mit der Gelegenheit zu einer Stellungnahme übersandt (Az. III C 2 – S 7287-a/00019/007/230).

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) III C 2 – S 7287-a/00019/007/230 vom 26.06.2025 (ENTWURF)

Anpassung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses

Seit dem 1. Januar 2025 ist – begleitet von Übergangsvorschriften – bei Umsätzen zwischen inländischen Unternehmen verpflichtend eine elektronische Rechnung (E-Rechnung) zu verwenden. Ein erstes BMF-Schreiben zu dem Thema wurde am 15. Oktober 2024 veröffentlicht. (Fundstelle: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Steuerarten/Umsatzsteuer/2024-10-15-einfuehrung-e-rechnung.html).

Das schon damals angekündigte zweite BMF-Schreiben liegt nunmehr als Entwurf vor und wurde den Verbänden am 25. Juni 2025 mit der Gelegenheit zu einer Stellungnahme übersandt. Aufgrund der großen Bedeutung des Themas für die Wirtschaft wird der Entwurf bereits in diesem Stadium zu Informationszwecken allgemein veröffentlicht. Eine Stellungnahme hierzu kann ggf. über die Verbände erfolgen. Die endgültige Veröffentlichung des BMF-Schreibens ist für das IV. Quartal 2025 geplant.

Quelle: Bundesministerium der Finanzen

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Bericht über die Sitzung am 23. und 24. Juni 2025 der Kommission für Qualitätskontrolle

Die Kommission für Qualitätskontrolle der WPK unterrichtet über die wichtigsten Beratungsergebnisse aus der Sitzung am 23. und 24. Juni 2025.

WPK, Mitteilung vom 25.06.2025

Die Kommission für Qualitätskontrolle unterrichtet regelmäßig über ihre Tätigkeit. Im Folgenden sind die wichtigsten Beratungsergebnisse aus der Sitzung am 23. und 24. Juni 2025 zusammengefasst.

Künstliche Intelligenz – Relevanz für das Qualitätskontrollverfahren

Die Kommission für Qualitätskontrolle hat sich mit dem Thema Künstliche Intelligenz befasst und die Auswirkungen auf ihre Tätigkeit sowie perspektivische Anwendungsbereiche beraten.

Information des Vorstandes nach § 57e Abs. 4 WPO

Die Kommission für Qualitätskontrolle erörterte die aktuelle Spruchpraxis zur Information des Vorstandes nach § 57e Abs. 4 WPO.

Der Vorstand wird unverändert über testatsrelevante Einzelfeststellungen von erheblicher Bedeutung informiert, insbesondere beim Prüfen ohne Befugnis oder bei Verstößen gegen Unabhängigkeitsvorschriften. Auch bei Verstößen gegen rechnungslegungsbezogene Vorschriften, bei groben Prüfungsfehlern, wesentlichen unterlassenen Prüfungshandlungen und/oder groben Berichterstattungsmängeln bei Anhang und Lagebericht wird der Vorstand informiert. Informiert wird insbesondere über solche Sachverhalte, bei denen die Maßnahmen der Kommission für Qualitätskontrolle nicht ausreichen, um den Mangel des Qualitätssicherungssystems zu beseitigen (§ 30 Abs. 2 Satz 2 SaQK).

Eine Information des Vorstandes erfolgt zudem, wenn wesentliche Mängel des Qualitätssicherungssystems festgestellt werden und eine Information des Vorstandes erforderlich erscheint (§ 22 Abs. 3 SaQK). Ein wichtiges Indiz für das Vorliegen wesentlicher Mängel ist regelmäßig ein eingeschränktes oder versagtes Prüfungsurteil.

Zukünftig wird bei einer Information des Vorstandes auch verstärkt in den Blick genommen, ob die Einzelfeststellungen von erheblicher Bedeutung beziehungsweise die wesentlichen Mängel des Qualitätssicherungssystems mit einem Verstoß gegen die Pflicht zur fachlichen Fortbildung der Berufsangehörigen (§ 5 Berufssatzung WP/vBP) zusammenhängen. In diesen Fällen soll auch eine Information des Vorstandes über diesen Verstoß geprüft werden.

Hinweise der Kommission für Qualitätskontrolle

Die Kommission für Qualitätskontrolle beriet die vom Ausschuss „Grundsätze QK“ überarbeiteten Entwürfe ihrer Hinweise zur „Durchführung und Dokumentation über eine Qualitätskontrolle“ und zur „Berichterstattung über eine Qualitätskontrolle“. Gegenstand der Beratungen waren auch erste Hinweise des Vorstandes zu den vorliegenden Entwurfsfassungen. Die Beratungen sollen fortgesetzt werden. Hierzu ist auch ein weiteres Gespräch zwischen Vertretern des Vorstandes und der Kommission für Qualitätskontrolle geplant.

Teilnahme an Qualitätskontrollen bei Big Four/Next Ten

Die Kommission für Qualitätskontrolle nimmt seit dem Jahr 2020 regelmäßig an den Qualitätskontrollen großer Abschlussprüferpraxen teil. In ihrer Sitzung hat die Kommission für Qualitätskontrolle über Themenschwerpunkte und Fragestellungen zum prüferischen Vorgehen beraten, die im Rahmen aktueller Teilnahmen an Qualitätskontrollen an die geprüften Praxen und ihre Prüfer für Qualitätskontrolle adressiert werden sollen. Diese betreffen insbesondere die Auftragsauswahl und die Intensität der Auftragsprüfung sowie die Berichterstattung im Qualitätskontrollbericht.

Aus den Abteilungen der Kommission für Qualitätskontrolle

Es wurde über zwei Widersprüche gegen die Anordnung der nächsten Qualitätskontrolle beraten. In einem Fall wurde aufgrund eines neuen, nicht bei der Anzeige als gesetzlicher Abschlussprüfer getätigten, Sachvortrags der Praxis dem Widerspruch in vollem Umfang stattgegeben. In dem weiteren Fall wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Weitere Beratungsthemen

Darüber hinaus hat sich die Kommission für Qualitätskontrolle mit der Planung einer Jour fixe-Veranstaltung für Prüfer für Qualitätskontrolle befasst.

Quelle: Wirtschaftsprüferkammer

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BMF plant Informationsblatt zu § 4 Nr. 22 UStG – DStV nimmt Stellung

Die umsatzsteuerliche Behandlung von Bildungsleistungen zieht weitere Kreise. Aktuell arbeitet das BMF an einem Informationsblatt zur Abgrenzung von Bildungsleistungen, die durch bestimmte Einrichtungen erbracht werden. Der DStV hat sich den Entwurf angesehen. Sein Fazit: Es braucht Zeit und eine grundlegende Neuausrichtung.

DStV, Mitteilung vom 25.06.2025

Die umsatzsteuerliche Behandlung von Bildungsleistungen zieht weitere Kreise. Aktuell arbeitet das BMF an einem Informationsblatt zur Abgrenzung von Bildungsleistungen, die durch bestimmte Einrichtungen erbracht werden. Der DStV hat sich den Entwurf angesehen. Sein Fazit: Es braucht Zeit und eine grundlegende Neuausrichtung.

Mit dem Jahressteuergesetz 2024 (JStG 2024) reformierte der Gesetzgeber die Umsatzsteuerbefreiung von Bildungsleistungen nach § 4 Nr. 21 UStG. Damit passte er die Regelung an die Vorgaben des Unionsrechts an. Die Regelung des § 4 Nr. 22 Buchstabe a UStG regelte der Gesetzgeber hingegen nicht neu, auch wenn diese ebenfalls nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben konform ist. Um einen Gleichklang mit EU-Recht zu erreichen, plant das BMF nun, durch ein Informationsblatt den Anwendungsbereich der Norm einzuschränken. Mit untergesetzlichen Kriterien will es Leistungen, die der bloßen Freizeitgestaltung dienen, ausklammern.

Der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) übermittelte dem BMF in seiner Stellungnahme S 03/25 seine Auffassung zu dem geplanten Schreiben und gab weitergehende Anregungen.

Abgrenzungskriterien unklar und praxisfern

Beim Blick auf die Kriterien zeigen sich viele Unklarheiten. Zum einen untergliedert das BMF diese in drei Bereiche. Dabei verlangt es, dass diese für jede Veranstaltung entsprechend den Umständen des Einzelfalls maßgeblich und insgesamt zu erfüllen sind. Unklar bleibt also, ob alle Anforderungen kumulativ zu erfüllen sind oder ob es – je nach Einzelfall – unterschiedliche Gewichtungen geben kann. Ebenso sind die Kriterien oft sehr vage. Gerade für den Bereich der beruflichen Fortbildungen passen diese – ähnlich wie bei den Überlegungen im Rahmen des § 4 Nr. 21 UStG – nicht. Vor allem, wenn es sich um Einzelveranstaltungen handelt. Nach Auffassung des DStV braucht es hier dringend weitere Erläuterungen.

Abgestimmtes Vorgehen nötig

Die Anwendungsbereiche der Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 21 und Nr. 22 Buchstabe a UStG basieren beide auf derselben unionsrechtlichen Grundlage. Insofern ergeben sich Überschneidungen. Im Fokus der Anpassungen sind bei beiden Vorschriften Bildungsleistungen. Aus diesem Grunde erachtet der DStV einen Gleichlauf der Regelungen als dringend geboten. Insofern sollte das BMF eine Veröffentlichung des Informationsblattes vor dem BMF-Schreiben zu § 4 Nr. 21 UStG vermeiden. Nur so lässt sich ein weitergehendes Abgrenzungschaos verhindern.

Neuregelung geboten – Übergangszeit ein Muss

Die Komplexität und das Ineinandergreifen der verschiedenen Regelungen rund um die umsatzsteuerliche Behandlung von Bildungsleistungen zeigen deutlich, dass es hier ein einheitliches Gesamtkonzeptes bedarf. Wünschenswert wäre dabei die Zusammenführung der Befreiungsnormen von § 4 Nr. 21 und Nr. 22 UStG zu einer insgesamt unionsrechtskonformen Fassung. Diese sollte das bürokratische Bescheinigungsverfahren abschaffen. Stattdessen könnte sie die Steuerbefreiung daran knüpfen, dass die Bildungseinrichtungen keine systematische Gewinnerzielung anstreben. Das Unionsrecht räumt nach Art. 133 Buchstabe a) MwStSystRL einen entsprechenden Gestaltungsspielraum ein.

Mindestens jedoch braucht es nach Auffassung des DStV zur Anwendung der Vorschriften Klarheit von Seiten der Finanzverwaltung. Da diese nicht in Sicht ist, fordert der DStV einen Nichtbeanstandungszeitraum von wenigstens 3 Jahren.

Quelle: Deutscher Steuerberaterverband e.V. – www.dstv.de

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