Verkehrsunfall beim Überholen: Haftung bei Verstoß gegen „doppelte Rückschaupflicht“

Eine Autofahrerin kann nach einem Überholunfall 2/3 ihres Schadens von einem Treckerfahrer ersetzt verlangen, da dieser offensichtlich gegen die „doppelte Rückschaupflicht“ verstoßen hat. So entschied das LG Lübeck (Az. 15 O 46/23).

LG Lübeck, Pressemitteilung vom 07.12.2023 zum Urteil 15 O 46/23 vom 28.09.2023 (rkr)

Abbiege- und Überholvorgänge im Straßenverkehr bergen große Risiken und verlangen daher größte Aufmerksamkeit von allen Verkehrsteilnehmern.

Am Tag vor Heiligabend 2021 kam es auf einer Landstraße im Lübecker Umland zu einem Verkehrsunfall. Ein Auto überholte einen Trecker mit Anhänger, der Trecker bog in diesem Moment links ab und das Auto landete im Graben. Über den genauen Unfallablauf herrscht Uneinigkeit – vor allem zu der Frage, ob der Treckerfahrer vor dem Abbiegen geblinkt hat. Die Fahrerin des Autos verlangte nun vor dem Landgericht Lübeck den Ersatz des Schadens.

Das Gericht kam zu dem Ergebnis, die Autofahrerin könne 2/3 ihres Schadens von dem Treckerfahrer ersetzt verlangen. Dieser habe offensichtlich gegen die „doppelte Rückschaupflicht“ verstoßen. Derjenige, der links abbiegen wolle, habe vor dem Einordnen und nochmals direkt vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Hätte der Treckerfahrer diese Regelung befolgt, wäre es nicht zu dem Unfall gekommen.

Doch auch die Fahrerin des Autos habe sich nicht korrekt verhalten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stand für das Gericht fest, dass der Treckerfahrer nach links geblinkt habe. Dies bestätigte ein Zeuge, der hinter den beiden Unfallbeteiligten fuhr. Es habe sich deswegen um eine unklare Verkehrssituation gehandelt, in der im Zweifel auf einen Überholvorgang verzichtet werden müsse. Aus diesem Grund habe die Klägerin 1/3 des Schadens selbst zu zahlen.

Das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 28.09.2023 – 15 O 46/23 – ist rechtskräftig.

Quelle: Landgericht Lübeck

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Inflationsrate im November 2023 bei +3,2 %

Die Inflationsrate in Deutschland lag im November 2023 bei +3,2 %. Im Oktober 2023 hatte die Inflationsrate bei +3,8 % gelegen. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, sanken die Verbraucherpreise im November 2023 gegenüber dem Vormonat Oktober 2023 um 0,4 %.

Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 08.12.2023

Inflationsrate schwächt sich den fünften Monat in Folge ab

Verbraucherpreisindex, November 2023
+3,2 % zum Vorjahresmonat (vorläufiges Ergebnis bestätigt)
-0,4 % zum Vormonat (vorläufiges Ergebnis bestätigt)

Harmonisierter Verbraucherpreisindex, November 2023
+2,3 % zum Vorjahresmonat (vorläufiges Ergebnis bestätigt)
-0,7 % zum Vormonat (vorläufiges Ergebnis bestätigt)

Die Inflationsrate in Deutschland − gemessen als Veränderung des Verbraucherpreisindex (VPI) zum Vorjahresmonat – lag im November 2023 bei +3,2 %. Im Oktober 2023 hatte die Inflationsrate bei +3,8 % gelegen. Niedriger als im November 2023 war die Inflationsrate zuletzt im Juni 2021 (+2,4 %). „Die Inflationsrate hat sich den fünften Monat in Folge abgeschwächt“, sagt Ruth Brand, Präsidentin des Statistischen Bundesamtes, und ergänzt: „Im Oktober und November 2023 waren insbesondere viele Energieprodukte günstiger als ein Jahr zuvor. Hier hat sich die Preissituation sichtlich entspannt. Auch die Jahresteuerung bei Nahrungsmitteln hat sich weiter abgeschwächt, liegt aber weiterhin deutlich über der Gesamtteuerung.“ Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, sanken die Verbraucherpreise im November 2023 gegenüber dem Vormonat Oktober 2023 um 0,4 %.

Energieprodukte verbilligten sich um 4,5 % gegenüber November 2022

Die Preise für Energieprodukte lagen im November 2023 um 4,5 % unter dem Niveau des Vorjahresmonats und dämpften somit wie schon im Oktober 2023 (-3,2 %) die Inflationsrate. Wesentlich für die Preisrückgänge seit Oktober 2023 war das sehr hohe Niveau der Energiepreise im Kriegs- und Krisenjahr 2022 (Basiseffekt). Die Preise für Kraftstoffe gingen von November 2022 bis November 2023 um 6,9 % zurück. Haushaltsenergie verbilligte sich im gleichen Zeitraum um 2,7 %. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich günstiger als im Vorjahresmonat waren zum Beispiel leichtes Heizöl ( -19,4 %) und Erdgas (-18,3 %). Strom war im November 2023 hingegen mit +1,6 % weiterhin teurer als ein Jahr zuvor.

Nahrungsmittel bleiben Preistreiber mit +5,5 % gegenüber November 2022

Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich im November 2023 um 5,5 % gegenüber dem Vorjahresmonat. Damit verlangsamte sich der Preisauftrieb für Nahrungsmittel erneut (Oktober 2023: +6,1 %; September 2023: +7,5 %; August 2023: +9,0 %). Schwächer als im November 2023 waren die Nahrungsmittelpreise im Vorjahresvergleich zuletzt im Februar 2022 gestiegen (+5,4 % gegenüber Februar 2021). Für viele Nahrungsmittelgruppen lag die Preiserhöhung im November 2023 jedoch weiterhin deutlich über der Gesamtteuerung. Vor allem für Obst (+12,0 %) sowie für Zucker, Marmelade, Honig und andere Süßwaren (+11,9 %) mussten die Verbraucherinnen und Verbraucher spürbar mehr bezahlen. Deutlich teurer wurden auch Brot und Getreideerzeugnisse (+9,4 %), Gemüse (+7,3 %) sowie Fisch, Fischwaren und Meeresfrüchte (+7,1 %). Dagegen waren Speisefette und Speiseöle um 11,5 % günstiger als ein Jahr zuvor: Hier stand jedoch den merklichen Preisrückgängen bei Butter (-24,8 %) und Sonnenblumenöl, Rapsöl und Ähnlichem (-17,3 %) ein starker Preisanstieg bei Olivenöl (+43,5 %) gegenüber.

Inflationsrate ohne Nahrungsmittel und Energie bei +3,8 %

Im November 2023 lag die Inflationsrate ohne Energie bei +4,0 % und die Inflationsrate ohne Berücksichtigung von Nahrungsmitteln und Energie bei +3,8 %. Diese Kenngrößen verdeutlichen auch, dass die Teuerung in anderen Güterbereichen weiterhin hoch ist und über der Gesamtteuerung liegt. Die Veränderung des Verbraucherpreisindex ohne Nahrungsmittel und Energie gegenüber dem Vorjahresmonat, häufig auch als Kerninflation bezeichnet, hatte sich jedoch sukzessive abgeschwächt und fiel nun im November 2023 erstmals seit August 2022 unter die Vier-Prozent-Marke.

Waren verteuerten sich gegenüber November 2022 um 3,0 %

Die Preise für Waren insgesamt erhöhten sich im Zeitraum von November 2022 bis November 2023 um 3,0 %, wobei sich die Verbrauchsgüter um 2,9 % verteuerten. Überdurchschnittlich teurer wurden hier neben den Nahrungsmitteln (+5,5 %) auch alkoholfreie Getränke (+8,5 %) sowie alkoholische Getränke und Tabakwaren (+8,6 %). Die Preise von Gebrauchsgütern lagen gegenüber November 2022 um 3,1 % höher.

Dienstleistungen verteuerten sich binnen Jahresfrist um 3,4 %

Die Preise für Dienstleistungen insgesamt lagen im November 2023 um 3,4 % über dem Niveau des Vorjahresmonats, die Teuerung hierfür hat sich etwas abgeschwächt (Oktober 2023: +3,9 %). Das bereits seit Mai 2023 gültige Deutschlandticket dämpfte auch im November 2023 den Preisanstieg bei Dienstleistungen. Insbesondere verbilligten sich die kombinierten Tickets für Bahn, Bus und Ähnliches (-22,7 % gegenüber November 2022). Weiterhin bedeutsam für die Preisentwicklung bei Dienstleistungen waren die Nettokaltmieten, die mit +2,0 % ebenfalls dämpfend wirkten. Einige andere Preise für Dienstleistungen erhöhten sich jedoch überdurchschnittlich und wirken sich somit erhöhend auf die Inflationsrate aus, unter anderem die Preise für die Instandhaltung und Reparatur von Wohnungen (+10,5 %), für Dienstleistungen sozialer Einrichtungen (+9,8 %) sowie für Übernachtungen (+6,5 %) und Gaststättendienstleistungen (+5,8 %).

Preise für Pauschalreisen und für Energie sanken gegenüber dem Vormonat deutlich

Im Vergleich zum Oktober 2023 sank der Verbraucherpreisindex im November 2023 um 0,4 %. Ein wesentlicher Grund für den Rückgang waren saisonbedingte Preissenkungen bei Pauschalreisen (-11,4 %). Auch die Preise für Energie insgesamt sanken im November 2023 gegenüber dem Vormonat deutlich um 2,1 %. Unter der Haushaltsenergie wurde vor allem Erdgas (-3,0 %) und leichtes Heizöl (-2,9 %) günstiger. Auch für Kraftstoffe mussten die Verbraucherinnen und Verbraucher weniger bezahlen (-2,6 %). Dagegen stiegen die Preise für Nahrungsmittel insgesamt im Vergleich zum Vormonat um +0,6 %. Teurer wurde hier vor allem Gemüse (+4,1 %).

Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis)

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Lohnsteuerliche Behandlung von unentgeltlichen oder verbilligten Mahlzeiten der Arbeitnehmer ab Kalenderjahr 2024

Das BMF teilt die Sachbezugswerte ab dem Kalenderjahr 2024 mit (Az. IV C 5 – S-2334 / 19 / 10010-005).

BMF, Schreiben IV C 5 – S-2334 / 19 / 10010-005 vom 07.12.2023

Mahlzeiten, die arbeitstäglich unentgeltlich oder verbilligt an die Arbeitnehmer abgegeben werden, sind mit dem anteiligen amtlichen Sachbezugswert nach der Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (Sozialversicherungsentgeltverordnung – SvEV) zu bewerten. Dies gilt ab 1. Januar 2014 gemäß § 8 Absatz 2 Satz 8 EStG auch für Mahlzeiten, die dem Arbeitnehmer während einer beruflich veranlassten Auswärtstätigkeit oder im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung vom Arbeitgeber oder auf dessen Veranlassung von einem Dritten zur Verfügung gestellt werden, wenn der Preis der Mahlzeit 60 Euro nicht übersteigt. Die Sachbezugswerte ab dem Kalenderjahr 2024 sind durch die 14. Verordnung zur Änderung der Sozialversicherungsentgeltverordnung vom 27. November 2023 (BGBl. I Nummer 328) festgesetzt worden. Demzufolge beträgt der Wert für Mahlzeiten, die ab Kalenderjahr 2024 gewährt werden,

a) für ein Mittag- oder Abendessen 4,13 Euro,

b) für ein Frühstück 2,17 Euro.

Bei Vollverpflegung (Frühstück, Mittag- und Abendessen) sind die Mahlzeiten mit dem Wert von 10,43 Euro anzusetzen.

Im Übrigen wird auf R 8.1 Absatz 7 und 8 LStR 2023 sowie auf das BMF-Schreiben zur Reform des steuerlichen Reisekostenrechts vom 25. November 2020 (BStBl I Seite 1228) hingewiesen.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: Bundesministerium der Finanzen

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Tariflöhne steigen 2023 nominal um durchschnittlich 5,6 Prozent – Kaufkraft kann annähernd gesichert werden

Die Tariflöhne in Deutschland steigen im Jahr 2023 nominal gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 5,6 Prozent. Die Zuwachsrate ist damit mehr als doppelt so hoch wie 2022, als die Tariflöhne lediglich um 2,7 Prozent anstiegen. Dies ergibt sich aus der vorläufigen Jahresbilanz, die das Tarifarchiv des WSI der Hans-Böckler-Stiftung vorlegt.

Hans-Böckler-Stiftung, Pressemitteilung vom 07.12.2023

Die Tariflöhne in Deutschland steigen im Jahr 2023 nominal gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 5,6 Prozent. Die Zuwachsrate ist damit mehr als doppelt so hoch wie 2022, als die Tariflöhne lediglich um 2,7 Prozent anstiegen. Dies ergibt sich aus der vorläufigen Jahresbilanz, die das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung vorlegt. Die hohen Tarifzuwächse erfolgen vor dem Hintergrund einer nach wie vor sehr hohen Inflationsrate. Angesichts einer für das Gesamtjahr 2023 zu erwartenden Steigerung der Verbraucherpreise um 6,0 Prozent ergäbe sich hieraus ein durchschnittlicher Rückgang der tarifvertraglich vereinbarten Reallöhne von 0,4 Prozent. In dieser Berechnung kann die Wirkung der in vielen Branchen vereinbarten steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämien allerdings nicht in vollem Umfang berücksichtigt werden. Bei einem Teil der Beschäftigten dürfte die finanzielle Bilanz daher positiver ausfallen.

„Die Kaufkraft der Tarifbeschäftigten konnte im Jahr 2023 annähernd gesichert werden,“ sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten. „Allerdings bleiben die erheblichen Reallohnverluste der beiden Vorjahre, die nicht innerhalb einer einzigen Tarifrunde ausgeglichen werden können.“ Während die Tariflöhne in den 2010er Jahren real kontinuierlich zugenommen haben, stiegen die Preise 2021 und vor allem 2022 deutlich stärker als die Löhne, so dass sich die Tariflöhne preisbereinigt heute wieder auf dem Stand des Jahres 2016 befinden.

Wirkung von steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämien

In den meisten Tarifabschlüssen des Jahres 2023 wurden sogenannte Inflationsausgleichsprämien vereinbart. Hierbei handelt es sich um steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen, die den Beschäftigten, im Vergleich zu einer regulären Tariferhöhung, einen höheren Nettolohn und den Arbeitgebern niedrigere Arbeitskosten ermöglichen. Je nach Tarifbereich variieren die Inflationsausgleichsprämien zwischen 1.000 und 3.000 Euro und werden über einen Zeitraum von zwei Jahren in mehreren Tranchen oder auch als monatliche Zusatzzahlungen ausgezahlt.

Da die Steuer- und Abgabenersparnisse bei den Inflationsausgleichsprämien, je nach Steuerklasse und Haushaltskontext, sehr unterschiedlich ausfallen, sind sie in den Berechnungen zur durchschnittlichen Tariflohnentwicklung lediglich als Bruttoeinmalzahlungen berücksichtigt. Um die darüber hinaus gehenden Steuer- und Abgabenersparnisse der Inflationsprämie zu bewerten, hat das WSI-Tarifarchiv zusätzlich auf der Grundlage der durchschnittlichen Steuer- und Abgabenquote für einzelne Tarifbranchen Modellrechnungen durchgeführt. Wenn der „Brutto-für-netto“-Effekt der Inflationsausgleichsprämien berücksichtigt wird, fallen die Tariflohnerhöhungen 2023 in einigen Branchen deutlich höher aus. Beispielsweise steigen die Tariflöhne im Öffentlichen Dienst (Bund und Gemeinden) unter Berücksichtigung der Steuer- und Abgabenersparnisse um 9,8 Prozent, ohne diesen Effekt sind es 6,8 Prozent.

„Die steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleichsprämien haben 2023 in vielen Tarifbranchen dazu beigetragen, dass Reallöhne nicht nur gesichert, sondern teilweise auch deutlich angehoben werden konnten“, sagt Schulten. „Da es sich hierbei um Einmalzahlungen handelt, wirken sie sich mit ihrem Auslaufen in den Folgejahren jedoch stark dämpfend auf die Lohnentwicklung aus.“

Überproportionale Anhebungen der unteren Tariflohngruppen

Die Inflationsprämien haben auch eine deutliche soziale Komponente und führen zu einer überproportionalen Lohnerhöhung bei unteren Tariflohngruppen. Dieser Effekt wurde außerdem dadurch verstärkt, dass in vielen Tarifabschlüssen des Jahres 2023 prozentuale Tariflohnerhöhungen kombiniert wurden mit festen Mindestbeträgen beim Lohnzuwachs, was ebenfalls zu überproportionalen Tariferhöhungen bei den unteren Lohngruppen geführt hat. „Die Tarifvertragsparteien haben damit der Tatsache Rechnung getragen, dass die unteren Lohngruppen in besonderem Maße unter den hohen Preissteigerungsraten leiden“, so der WSI-Tarifexperte Schulten.

Bei der Berechnung der durchschnittlichen Tariferhöhungen hat das WSI-Tarifarchiv Tarifvereinbarungen für insgesamt 14,8 Millionen Beschäftigte berücksichtigt. Hierzu gehören sowohl Tarifabschlüsse aus den Vorjahren 2022 und früher, die in diesem Jahr wirksam wurden, als auch die Neuabschlüsse aus 2023. Werden nur die Altabschlüsse aus dem Jahr 2022 und früher berücksichtigt, so ergibt sich hieraus eine Steigerung der Tariflöhne um 5,1 Prozent. Die Neuabschlüsse des Jahres fielen hingegen mit 6,5 Prozent deutlich höher aus.

Ausblick

Nach wie vor gibt es in der Tarifrunde 2023 auch einige ungelöste Tarifkonflikte. Dies gilt insbesondere für den Einzelhandel sowie den Groß- und Außenhandel, wo bereits seit mehreren Monaten verhandelt wird, ohne dass bislang ein Ergebnis erzielt werden konnte. Hinzu kommen die derzeit laufenden Tarifauseinandersetzungen im Öffentlichen Dienst bei den Ländern sowie in der Stahlindustrie. Im Jahr 2024 starten dann wieder Tarifverhandlungen in großen Tarifbranchen wie dem Bauhauptgewerbe, der Chemischen Industrie und – in der zweiten Jahreshälfte – der Metall- und Elektroindustrie.

„Angesichts deutlich rückläufiger Inflationsraten dürfte sich der Druck auf die Tarifvertragsparteien 2024 wieder etwas entspannen“, sagt WSI-Experte Schulten. Allerdings besteht angesichts der Reallohnverluste der Vorjahre nach wie vor ein Nachholbedarf. „Steigende Reallöhne sind auch deshalb wichtig, um die schwache Konjunkturentwicklung in Deutschland zu stabilisieren.“

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung

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Solaranlagen sollen in Kleingärten erlaubt werden

Der Bundesrat hat ein Gesetz zur Änderung des Bundeskleingartengesetzes (20/9645) vorgelegt, um die Aufstellung von kleinen Photovoltaikanlagen zu ermöglichen. Künftig soll das Aufstellen von Photovoltaikanlagen bis 800 Watt zur Erzeugung von Strom keinen Einfluss auf die Beurteilung haben, ob es sich um eine Gartenlaube oder ein zum Wohnen geeignetes Haus handelt.

Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 07.12.2023

Der Bundesrat hat ein Gesetz zur Änderung des Bundeskleingartengesetzes (20/9645) vorgelegt, um die Aufstellung von kleinen Photovoltaikanlagen zu ermöglichen. Künftig soll das Aufstellen von Photovoltaikanlagen bis 800 Watt zur Erzeugung von Strom keinen Einfluss auf die Beurteilung haben, ob es sich um eine Gartenlaube oder ein zum Wohnen geeignetes Haus handelt. Auf diese Weise könnten kleine Photovoltaikanlagen rechtssicher aufgestellt werden, ohne dass die Pächter der Kleingärten einen möglichen Wegfall der Anwendbarkeit des Bundeskleingartengesetzes und folglich das Entfallen des Kündigungsschutzes und der Begrenzung des Pachtzinses befürchten müssten.

Bisher ist die Nutzung von Solaranlagen in Kleingärten im Bundeskleingartengesetz (BKleingG) weder ausdrücklich erlaubt noch verboten. Paragraf 3 Absatz 2 Satz 2 BKleingG enthält derzeit jedoch die Einschränkung, dass eine Laube in einem Kleingarten nach ihrer „Beschaffenheit, insbesondere nach ihrer Ausstattung und Einrichtung, nicht zum dauernden Wohnen geeignet sein“ darf. Ohne entsprechende Regelung könnte die uneingeschränkte Verwendung von Photovoltaikanlagen – ähnlich wie ein Anschluss an das Elektrizitätsnetz – eine unerwünschte Entwicklung von einer reinen Gartenlaube hin zu einer Wohnnutzung begünstigen.

Quelle: Deutscher Bundestag, hib-Nr. 921/2023

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Alarmierender Rückgang bei der Innovationsbereitschaft

Die aktuellen Herausforderungen erfordern neuartige Lösungen, doch die Unternehmen hierzulande planen 2023 weniger Investitionsaktivitäten als je zuvor in einem DIHK-Innovationsreport erfasst wurden. Zu den größten Hemmnissen zählen Bürokratie und Fachkräftemangel. Jetzt gilt es dringend, gegenzusteuern.

DIHK, Mitteilung vom 07.12.2023

Ob Digitalisierung, klimafreundlichere Energie oder die Bewältigung des demografischen Wandels: Die aktuellen Herausforderungen unserer Zeit erfordern innovative Lösungen. Insbesondere gilt der Innovationsbedarf im Umgang mit den Krisen, die allerdings erhebliche negative Auswirkungen auf deutsche Unternehmen haben. Dieser Sachverhalt schlägt auch auf deren Innovationsleistung durch. Das zeigt der DIHK-Innovationsreport 2023, dem die Angaben von mehr als 2.200 Betrieben zugrunde liegen.

Innovationsaktivitäten auf Rekordtief

Die Innovationsbereitschaft der deutschen Wirtschaft ist 2023 auf den niedrigsten Stand seit der ersten Erhebung im Jahr 2008 gesunken. Bei der letzten Befragung 2020 gaben noch knapp die Hälfte der Unternehmen an, ihre Innovationsaktivitäten ausweiten zu wollen. Aktuell plant das nur noch rund ein Drittel von ihnen. 15 Prozent der deutschen Firmen kündigen sogar an, ihre Innovationsaktivitäten in den kommenden zwölf Monaten zu verringern. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung, denn gerade jetzt sind neue Verfahren und Lösungsansätze dringend notwendig, um die bevorstehenden Transformationen zu bewerkstelligen.

Größte Hemmnisse: Fachkräftemangel und Bürokratie

Die Rückmeldungen aus den Betrieben zeigen: Der Fachkräftemangel ist mittlerweile Innovationshemmnis Nummer eins, dicht gefolgt von bürokratischen Hürden. Fast drei Viertel der Unternehmen fehlt eigenen Angaben zu Folge schlichtweg das Personal für mehr Innovation. Mehr als zwei Drittel der Betriebe fühlen sich durch bürokratische Anforderungen der staatlichen Verwaltung bei Forschung und Entwicklung ausgebremst und eingeschränkt. Hinderlich wirken komplexe Zulassungs- und Genehmigungsverfahren ebenso wie kleinteilige Dokumentationspflichten. Der Erfüllungsaufwand bindet bei den Betrieben mehr und mehr Ressourcen, die unter dem Strich für Innovationen fehlen.

Schleichende Forschungsverlagerung ins Ausland

Dass die Zeit drängt, zeigt auch das steigende Interesse am Aufbau von Forschungs- und Entwicklungs- (FuE-) Aktivitäten im Ausland. Hatte bei der Vorumfrage nur ein Viertel der Unternehmen angegeben, FuE-Kapazitäten im Ausland aufzubauen, liegt der Anteil mittlerweile bereits bei einem Drittel. Die schleichende Forschungsverlagerung stellt den heimischen Standortfaktoren ein schlechtes Zeugnis aus.

Innovationsbeschleuniger nötig

Die Unternehmen brauchen jetzt den Freiraum, um wieder neue Lösungen zu entwickeln. Der vorgeschlagene Pakt für Beschleunigung und das vierte Bürokratieentlastungsgesetz sind wichtige Elemente, um die Betriebe zu entlasten und ihnen damit wieder mehr Luft für neue Ideen zu verschaffen. Für verbesserte Prozesse und mehr Erfindungen hierzulande sind aber auch Förderprogramme erforderlich, die die Unternehmen schnell und bürokratiearm erreichen. Hier ist noch Luft nach oben. So sollten Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden – auch unter stärkerem Einsatz von Digitalisierung.

Mehr Schwung ist auch bei Reallaboren nötig, damit Innovationen erprobt werden können. Solche Experimentierräume bieten Betrieben eine interessante Möglichkeit, neue Technologien und Prozesse innerhalb eines gelockerten Regulierungsrahmens in einem realen Umfeld zu testen – und damit neue Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen hervorzubringen. Das Reallabore-Gesetz der Bundesregierung sollte baldmöglichst auf den Weg gebracht werden.

Mit der geplanten Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) soll schließlich neues Wissen aus der Forschung schneller in die Anwendung kommen. Zum Leistungsspektrum der Agentur sollten niederschwellige Möglichkeiten für Unternehmen gehören, um mit der Wissenschaft zu kooperieren.

Quelle: DIHK

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IAASB: Prüfungsstandard für weniger komplexe Unternehmen (ISA for LCE) veröffentlicht

Das IAASB hat einen eigenständigen Prüfungsstandard für die Prüfung weniger komplexer Unternehmen veröffentlicht (ISA for LCE). Dieser Prüfungsstandard bietet dieselbe Prüfungssicherheit wie eine Prüfung, die nach den International Standards on Auditing (ISAs) durchgeführt wird. Dazu informiert die WPK.

WPK, Mitteilung vom 07.12.2023

Am 6. Dezember 2023 hat das International Auditing and Assurance Standards Board (IAASB) einen eigenständigen Prüfungsstandard für die Prüfung weniger komplexer Unternehmen (The International Standard on Auditing for Audits of Financial Statements of Less Complex Entities, kurz ISA for LCE) veröffentlicht. Dieser Prüfungsstandard bietet dieselbe Prüfungssicherheit wie eine Prüfung, die nach den International Standards on Auditing (ISAs) durchgeführt wird.

Keine Anwendung bei der Prüfung börsennotierter Unternehmen

Thematisch umfasst der Standard alle Bereiche einer Abschlussprüfung, von der Auftragsannahme bis zur Berichterstattung. Zum Geltungsbereich (Authority of the ISA for Audits of Financial Statements of Less Complex Entities) wird erläutert, für welche Prüfungen der Standard angewandt werden kann. Insbesondere für die Prüfung börsennotierter Unternehmen ist die Anwendung des ISA for LCE ausgeschlossen. Konzernabschlussprüfungen können unter gewissen Bedingungen unter Anwendung des ISA for LCE durchgeführt werden.

Ergänzend zum ISA for LCE hat der Mitarbeiterstab des IAASB eine unverbindliche Basis for Conclusions veröffentlicht. Hier werden Hintergrundinformationen zum Standard dargestellt.

Quelle: WPK

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BFH zum Vorsteuerabzug bei einem kraft Gesetzes erfolgenden Wechsel von der Durchschnittssatzbesteuerung zur Regelbesteuerung

Der BFH nimmt Stellung zu der Frage, ob bei einem Land- und Forstwirt, der im Jahr 2021 seine Umsätze nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 UStG versteuert und durch das Überschreiten der in § 24 Abs. 1 Satz 1 UStG neu eingeführten Umsatzgrenze von 600.000 Euro seine Umsätze im Folgejahr 2022 der Regelbesteuerung unterwerfen muss, der Vorsteuerausschluss des § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG einem Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG für im Jahr 2021 bezogene Eingangsleistungen, die erst in 2022 zu Ausgangsumsätzen führen, entgegensteht (Az. XI R 14/22).

BFH, Urteil XI R 14/22 vom 12.07.2023

Leitsatz

  1. Bezieht eine GbR, deren landwirtschaftliche Tätigkeit bei Leistungsbezug der Durchschnittssatzbesteuerung des § 24 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) unterliegt, für diese landwirtschaftliche Tätigkeit eine Eingangsleistung, ist der Vorsteuerabzug auch dann nach § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG, Art. 302 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) ausgeschlossen, wenn die Eingangsleistung für Umsätze im Folgejahr verwendet wird, in dem diese Tätigkeit kraft Gesetzes der Regelbesteuerung unterliegt.
  2. Wechselt der Steuerpflichtige zwischen Leistungsbezug und Verwendungsumsatz freiwillig oder kraft Gesetzes von der Durchschnittssatzbesteuerung zur Regelbesteuerung, ist der Vorsteuerabzug unter den Voraussetzungen der § 15a Abs. 7 UStG, Art. 192 MwStSystRL zu berichtigen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 05.05.2022 – 11 K 196/21 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

I.

1

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), die bis einschließlich 2021 (Streitjahr) ihre Umsätze aus ihrem landwirtschaftlichen Unternehmen nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) versteuerte, Vorsteuer aus Rechnungen abziehen kann, deren Aufwendungen zwar im Streitjahr entstanden sind, jedoch für Umsätze im Jahr 2022 verwendet werden sollten, einem Jahr, in dem sie wegen des Überschreitens der Grenze von 600.000 € zur Regelbesteuerung übergehen musste.

2

Die Klägerin ist eine GbR. Ihr Gesellschaftszweck ist der Betrieb eines landwirtschaftlichen Unternehmens zur Haltung von Milchkühen. Im Rahmen dieses Betriebs zieht die Klägerin weibliche Nachzucht selbst auf. Mit ihren Umsätzen unterlag sie auch im Streitjahr der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 UStG. Für die Jahre 2019 und 2020 erklärte die Klägerin Umsätze in Höhe von etwa 1,2 Mio. €; die erklärte Umsatzsteuer betrug für diese Jahre nach Anwendung der Regelungen in § 24 Abs. 1 UStG jeweils 0 €.

3

Am 21.10.2021 gab die Klägerin eine Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 1. Quartal 2021 ab, in der sie abzugsfähige Vorsteuerbeträge in Höhe von 1.436,39 € und keine zu besteuernden Umsätze anmeldete. In einem Begleitschreiben zur Voranmeldung führte die Klägerin ergänzend aus, es handele sich bei der übermittelten Umsatzsteuer-Voranmeldung nicht um einen Antrag im Sinne des § 24 Abs. 4 UStG, die Regelungen des § 24 Abs. 1 UStG sollten für 2021 weiterhin Anwendung finden. Ab dem 01.01.2022 unterliege die Klägerin jedoch der Regelbesteuerung. Durch das Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) vom 21.12.2020 (BGBl I 2020, 3096, BStBl I 2021, 6) sei in § 24 Abs. 1 UStG eine Umsatzgrenze von 600.000 € bezogen auf das jeweilige Vorjahr eingefügt worden. Die Änderung gelte nach § 27 Abs. 32 UStG erstmals für Umsätze, die nach dem 31.12.2021 bewirkt werden. Die in der Voranmeldung geltend gemachten Vorsteuerbeträge stünden nur mit Umsätzen in Zusammenhang, die erst im Jahr 2022 erzielt würden, da es sich um die anteiligen Kosten für die Aufzucht von Tieren handele, die erst im Jahr 2022 abkalben und daher erst ab diesem Zeitpunkt Milch erzeugen. Daher sei ihr entgegen Abschn. 15.1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) der Vorsteuerabzug zu gewähren.

4

Am 10.11.2021 setzte der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt -FA-) die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 1. Quartal 2021 auf 0 € fest und versagte dabei den begehrten Vorsteuerabzug.

5

Den Einspruch der Klägerin, mit dem sie zur Begründung auf das Begleitschreiben zur Voranmeldung verwies, blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 26.11.2021). Nach Ansicht des FA sei bei Anwendung der Durchschnittssatzbesteuerung im Jahr 2021 nach § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG ein weitergehender Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Ein Verzicht gemäß § 24 Abs. 4 UStG sei nicht erfolgt.

6

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2022, 1649 veröffentlichten Urteil statt und setzte die Umsatzsteuer auf ./. 1.436,59 € fest. Soweit sich Vorsteuerbeträge auf die Aufzucht von Tieren im Streitzeitraum (1. Quartal 2021) bezögen, die erst im Jahr 2022 abkalben, stehe § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG dem Vorsteuerabzug nicht entgegen. Maßgeblich sei, dass bei Leistungsbezug die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht bestanden habe, die Eingangsleistungen nur für Umsätze im Jahr 2022 zu verwenden, die wegen der bereits 2021 zu erkennenden neuen Gesetzeslage der Regelbesteuerung unterliegen. Dies entspreche der zugrundeliegenden unionsrechtlichen Regelung des Art. 302 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach sei die Frage des Ausschlusses des Vorsteuerabzugs von der Qualität der mit den Aufwendungen im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten beziehungsweise Umsätzen abhängig und nicht vom Vorliegen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs als solches. § 15a Abs. 7 UStG stehe dem nicht entgegen, da eine Berichtigung des versagten Vorsteuerabzugs wegen § 44 Abs. 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) im Streitfall nicht in Betracht komme, weil die entsprechenden Anschaffungs- und Herstellungskosten für die aufzuziehenden Milchkühe die dort genannte Grenze nicht überschritten.

7

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG und § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG). Das FG habe bei seiner Entscheidung außerdem Art. 302 MwStSystRL falsch angewendet.

8

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

10

Sie verteidigt das Urteil der Vorinstanz. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) würden die Vorschriften der Durchschnittssatzbesteuerung eng ausgelegt, für jede einzelne Lieferung oder sonstige Leistung geprüft und im Sinne der MwStSystRL ausgelegt. Der Wortlaut des Art. 302 MwStSystRL sei eindeutig. Die Entscheidung des FG stehe auch im Einklang mit der Literatur. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen entspreche die Auffassung der Finanzverwaltung in Abschn. 15.1 Abs. 5 UStAE nicht Art. 302 MwStSystRL.

11

Des Weiteren habe der BFH bereits im Leitsatz seines Urteils vom 22.03.2001 – V R 46/00 (BFHE 194, 533, BStBl II 2003, 433) entschieden, dass ein Vorsteuerabzug unter den sonstigen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG zu gewähren sei, wenn der Unternehmer die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht habe, die Eingangsumsätze für solche Ausgangsumsätze zu verwenden, die den Vorsteuerabzug nicht gemäß § 15 Abs. 2 UStG ausschließen. Die Klägerin habe aus der Höhe ihrer Umsätze der Vorjahre (circa 1,2 Mio. €) entnehmen können, dass mit der Neuregelung ab dem Jahr 2022 ihre Umsätze der Regelbesteuerung unterliegen. Damit habe die Klägerin bei Leistungsbezug die Absicht gehabt, die Eingangsumsätze für besteuerte Ausgangsumsätze zu verwenden. Auf die Anwendung des § 15a UStG komme es daher nicht mehr an. Die Bagatellgrenze des § 44 UStDV stelle zudem die gesamtwirtschaftliche Neutralität in Frage.

12

Letztlich komme im BFH-Urteil vom 13.11.2013 – XI R 2/11 (BFHE 243, 462, BStBl II 2014, 543) zum Ausdruck, dass die Tätigkeiten des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs umsatz- und tätigkeitsbezogen betrachtet werden müssten. Dies gelte auch für den Streitfall.

II.

13

Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die geltend gemachte Vorsteuer im Streitjahr abgezogen werden kann. Im Streitjahr kann Vorsteuer nur im Umfang der Umsatzsteuer auf die erzielten Umsätze berücksichtigt werden.

14

1. Für die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze werden im Streitjahr die Steuer -mit Ausnahme der im Streitfall nicht einschlägigen Lieferungen und sonstigen Leistungen im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 UStG- gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG und die diesen Umsätzen zuzurechnenden Vorsteuerbeträge gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 UStG auf jeweils 10,7 % der Bemessungsgrundlage festgesetzt. Dadurch gleichen sich Steuer und Vorsteuer aus, so dass der Landwirt im Ergebnis für diese Umsätze keine Umsatzsteuer zu entrichten hat.

15

2. Nach diesen gesetzlichen Grundlagen hat das FA im Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 1. Quartal 2021 vom 10.11.2021 die Umsatzsteuer zutreffend auf 0 € festgesetzt.

16

a) Der Vorsteuerabzug aufgrund tatsächlicher Leistungsbezüge für den landwirtschaftlichen Betrieb war bei Leistungsbezug nach § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG ausgeschlossen; denn das Verbot eines weiteren Vorsteuerabzugs gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG bezieht sich auf den Zurechnungsbereich des Leistungsbezugs zu den land- und forstwirtschaftlichen Umsätzen (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.1993 – V R 79/91, BFHE 173, 265, BStBl II 1994, 339, unter II.1.c aa). Der Vorsteuerabzug erfolgt pauschal. In der zunächst sinngemäß enthaltenen und später ausdrücklich ausgesprochenen gesetzlichen Anordnung in § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG des Inhalts, dass ein weiterer Vorsteuerabzug entfällt, ist eine Regelung zu sehen, mit der ausgeschlossen wird, dass neben der Vorsteuerpauschalierung (§ 24 Abs. 1 UStG) zusätzlich aufgrund von einzelnen Leistungsbezügen für den unter § 24 UStG fallenden Unternehmensteil nach Maßgabe des § 15 Abs. 1 UStG Vorsteuern abgezogen werden dürfen (vgl. BFH-Urteil vom 26.02.1987 – V R 71/77, BFHE 150, 165, BStBl II 1987, 685, unter II.1.c). Besteht -wie im Streitfall- im Jahr des Leistungsbezugs nur ein der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegendes landwirtschaftliches Unternehmen, so kommt von vornherein nur eine Zuordnung der Eingangsleistung zu diesem Unternehmen in Betracht mit der Folge, dass statt des Abzugs der in der Rechnung ausgewiesenen Umsatzsteuer als Vorsteuer gemäß § 15 UStG nur eine Vorsteuerentlastung nach § 24 Abs. 1 Satz 3 und 4 UStG, bemessen nach Ausgangsumsätzen, eintritt (vgl. BFH-Urteil vom 10.11.1994 – V R 87/93, BFHE 176, 477, BStBl II 1995, 218, unter II.B.I.3.).

17

b) Die bereits im Streitjahr mögliche Option zur Regelbesteuerung (§ 24 Abs. 4 UStG), die dazu geführt hätte, dass statt pauschaler Leistungsbezüge die tatsächlichen Leistungsbezüge (§ 15 UStG) berücksichtigt werden, hat die Klägerin nicht ausgeübt.

18

3. Die gesetzliche Einführung der Gesamtumsatzgrenze von 600.000 €, die auf Umsätze anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2021 bewirkt werden (§ 24 Abs. 1 Satz 1 UStG i.d.F. des Art. 11 Nr. 6 Buchst. a JStG 2020, § 27 Abs. 32 UStG i.d.F. des Art. 11 Nr. 7 JStG 2020), führt im Streitjahr nicht zu einer anderen Beurteilung.

19

a) Kommt es zwischen Leistungsbezug und Verwendungsumsatz zu einem Übergang von der Durchschnittssatzbesteuerung zur Regelbesteuerung, gelangt mit § 15a Abs. 7 Halbsatz 2 UStG eine gesetzliche Vorschrift zur Anwendung, die eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs ermöglicht und damit Inkongruenzen ausgleicht. Im Fall des Wechsels verbleibt es bei dem unter 3.b genannten Grundsatz; zunächst ist der (weitere) Vorsteuerabzug nach § 15 UStG aufgrund der Regelung des § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG ausgeschlossen und nach dem Wechsel zur allgemeinen Besteuerung gegeben (vgl. BFH-Urteil vom 12.06.2008 – V R 22/06, BFHE 222, 106, BStBl II 2009, 165, unter II.1.c).

20

aa) Zu § 19 UStG hat der BFH entschieden, dass ein Unternehmer, der als Kleinunternehmer (§ 19 Abs. 1 UStG) eine Leistung bezieht, im nachfolgenden Besteuerungszeitraum zur Regelbesteuerung wechselt und in diesem für die bezogene Leistung eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis erhält, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, weil es in Bezug auf die erhaltene Leistung an der persönlichen Berechtigung zum Vorsteuerabzug fehlt (vgl. BFH-Urteil vom 17.09.1981 – V R 76/75, BFHE 134, 461, BStBl II 1982, 198).

21

bb) Für den landwirtschaftlichen Betrieb der Klägerin (§ 24 UStG) gilt aus den unter 3.b genannten Gründen auch im Falle des Wechsels nichts anderes. Wechselt ein Unternehmer, der seine Umsätze gemäß § 24 Abs. 1 UStG pauschal versteuert und im Zeitraum dieser Besteuerungsform Lieferungen und sonstige Leistungen bezogen hat, später zur Regelbesteuerung, sind die mit diesen Vorbezügen verbundenen Vorsteuern auch dann durch die Vorsteuerpauschalierung nach § 24 UStG abgegolten, wenn der Unternehmer die Rechnungen für diese Vorbezüge erst nach dem Wechsel der Besteuerungsform erhält (vgl. BFH-Urteil vom 06.12.1979 – V R 87/72, BFHE 129, 425, BStBl II 1980, 167). Für den pauschalen Vorsteuerabzug ist die Regelung bestimmend, die im Rahmen der für den Land- und Forstwirt zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Besteuerungsform gilt. Bei der Besteuerung nach § 24 Abs. 1 UStG wird die reale Vorsteuerbelastung durch einen fiktiven Betrag abgegolten. Selbst durch eine ausschließliche Zuordnung des Leistungsbezugs eines gemischt eingesetzten Gegenstandes zum landwirtschaftlichen Betrieb (§ 24 UStG) käme es zur Verhinderung der Entlastung (vgl. BFH-Urteil vom 16.12.1993 – V R 79/91, BFHE 173, 265, BStBl II 1994, 339, Rz 18).

22

cc) Der Unternehmer wird dadurch nicht schutzlos gelassen. Vielmehr liegt eine Änderung der für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse auch dann vor, wenn ein Land- und Forstwirt von der Regelbesteuerung zur Durchschnittssatzbesteuerung oder umgekehrt wechselt (§ 15a Abs. 7 Halbsatz 2 UStG, s.a. schon vor dessen Inkrafttreten BFH-Urteile vom 06.12.2001 – V R 6/01, BFHE 197, 338, BStBl II 2002, 555, unter II.2.; vom 17.06.2004 – V R 31/02, BFHE 205, 549, BStBl II 2004, 858, unter II.3.; vom 24.11.2005 – V R 37/04, BFHE 211, 411, BStBl II 2006, 466; vom 12.06.2008 – V R 22/06, BFHE 222, 106, BStBl II 2009, 165; vom 14.07.2010 – XI R 9/09, BFHE 231, 253, BStBl II 2010, 1086, Rz 15; BFH-Beschluss vom 13.06.2018 – XI R 5/17, BFHE 262, 233, Rz 66).

23

dd) Die unter aa) bis cc) genannten Grundsätze gelten im Übrigen auch im umgekehrten Fall: Wechselt der Steuerpflichtige von der Regelbesteuerung zur Durchschnittssatzbesteuerung, verbleibt es beim Vorsteuerabzug bei Leistungsbezug gemäß § 15 UStG; es erfolgt auch dann nur eine Vorsteuerberichtigung gemäß § 15a Abs. 7 UStG (vgl. Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 17.05.2022 – 4 K 55/21, EFG 2022, 1334).

24

b) Die unter a) in Bezug genommene Rechtsprechung betrifft Konstellationen, in denen der Steuerpflichtige freiwillig die Besteuerungsform wechselt. Für den Fall, dass der Wechsel kraft Gesetzes eintritt, gilt indes nichts anderes (vgl. Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 24 Rz 343 f.; Busch in Offerhaus/Söhn/Lange, § 24 UStG Rz 570 ff.; BeckOK UStG/S. Müller, § 24 Rz 800). Auch Gesetzesänderungen können nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu Vorsteuerberichtigungen führen (vgl. BFH-Beschluss vom 05.06.2014 – XI R 31/09, BFHE 245, 447, Rz 69 f. und nachfolgend EuGH-Urteil Wolfgang und Wilfried Rey Grundstücksgemeinschaft GbR vom 09.06.2016 – C-332/14, EU:C:2016:417, Rz 37 ff.). Es verbleibt die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a Abs. 7 Halbsatz 2 UStG zu dem Zeitpunkt, zu dem die Pauschalbesteuerung nicht mehr zulässig ist.

25

4. Das Unionsrecht steht dem nicht entgegen.

26

a) Nach Art. 302 MwStSystRL hat ein Pauschallandwirt, der einen Pauschalausgleich in Anspruch nimmt, in Bezug auf die dieser Pauschalregelung unterliegenden Tätigkeiten kein Recht auf Vorsteuerabzug. Geht der Steuerpflichtige von der normalen Mehrwertsteuerregelung auf eine Sonderregelung über oder umgekehrt, können nach Art. 192 MwStSystRL die Mitgliedstaaten die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um zu vermeiden, dass dem Steuerpflichtigen dadurch ungerechtfertigte Vorteile oder Nachteile entstehen. Ebenso wie § 15a Abs. 7 UStG sieht Art. 192 MwStSystRL den Übergang von der normalen Mehrwertsteuerregelung auf eine Sonderregelung oder umgekehrt als Fall der Berichtigung des Vorsteuerabzugs an.

27

b) Soweit die Klägerin unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 13.11.2013 – XI R 2/11 (BFHE 243, 462, BStBl II 2014, 543) von einer umsatzbezogenen Betrachtung ausgeht, geht das Unionsrecht in Art. 302 MwStSystRL von Tätigkeiten und nicht von Umsätzen aus. Die Tätigkeit der Klägerin im Jahr 2021 war eine landwirtschaftliche Tätigkeit (Tierzucht beziehungsweise Tierhaltung, Art. 295 Abs. 1 Nr. 2 MwStSystRL i.V.m. Anh. VII Nr. 2) einer landwirtschaftlichen Erzeugerin (Art. 295 Abs. 1 Nr. 3 MwStSystRL). In Bezug auf diese Tätigkeit hat die Klägerin somit nach Art. 302 MwStSystRL im Jahr 2021 kein Recht auf Vorsteuerabzug. Entstehen daraus ungerechtfertigte Vor- oder Nachteile, so sind diese nach Art. 192 MwStSystRL auszugleichen. Die Umsetzung dieser Bestimmung steht nicht im Ermessen des Mitgliedstaats (vgl. BFH-Urteile vom 17.06.2004 – V R 31/02, BFHE 205, 549, BStBl II 2004, 858, Rz 42 ff.; vom 12.06.2008 – V R 22/06, BFHE 222, 106, BStBl II 2009, 165, unter II.1.d); sie hat der deutsche Gesetzgeber mit § 15a Abs. 7 Halbsatz 2 UStG vorgenommen (vgl. BFH-Urteil vom 12.02.2009 – V R 85/07, BFHE 224, 473, BStBl II 2010, 76, Rz 14 und zu Umlaufvermögen s. Rz 15).

28

c) Das von der Klägerin angeführte BFH-Urteil vom 13.11.2013 – XI R 2/11 (BFHE 243, 462, BStBl II 2014, 543, Rz 37) bezieht sich außerdem auf die Zuordnungsfrage, ob Vorsteuern aus verschiedenen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen dem Bereich der Durchschnittssatzbesteuerung oder dem Bereich der Regelbesteuerung zuzuordnen sind (vgl. dazu auch BFH-Urteile vom 23.01.2013 – XI R 27/11, BFHE 240, 422, BStBl II 2013, 458; vom 24.01.2013 – V R 34/11, BFHE 239, 552, BStBl II 2013, 460). Im Streitfall geht es hingegen um die Frage, welche Konsequenzen sich aus dem Wechsel des Besteuerungssystems einer einzigen (landwirtschaftlichen) Tätigkeit, die von der Durchschnittssatzbesteuerung zur Regelbesteuerung wechselt, ergeben. Hier bedarf es insoweit einer tätigkeitsbezogenen Sicht, die sich unionsrechtlich aus Art. 192 MwStSystRL i.V.m. § 15a Abs. 7 UStG ergibt.

29

d) Aus dem zwischen den Beteiligten streitig erörterten BFH-Urteil vom 22.03.2001 – V R 39/00 (BFH/NV 2001, 1153) ergibt sich ebenfalls nichts anderes; denn im dortigen Fall wurde im Zeitpunkt des Leistungsbezugs keine der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegende Tätigkeit ausgeübt. Außerdem wurde erklärt, dass zur Regelbesteuerung optiert wird.

30

5. Diese Auslegung des § 24 UStG entspricht auch den formellen Anforderungen, die mit dem Wechsel zur Regelbesteuerung einhergehen. So setzt zum Beispiel erst mit dem Übergang zur Regelbesteuerung die Aufzeichnungspflicht des § 22 Abs. 2 Nr. 5 und 6 UStG für den Land- und Forstwirt ein. Davor ist der land- und forstwirtschaftliche Betrieb (auch) von ihr befreit (§ 67 Satz 1 UStDV). Die gegenteilige Ansicht der Klägerin und der Vorinstanz würde zu erheblichen Nachweisproblemen führen.

31

6. Ob die in § 15a Abs. 7 UStG, Art. 192 MwStSystRL vorgesehene Vorsteuerberichtigung im Jahr 2022 aufgrund von § 44 UStDV ausgeschlossen ist, ist im Streitfall, der das Jahr 2021 betrifft, nicht zu entscheiden.

32

7. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Quelle: Bundesfinanzhof

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EuGH zur Altersdiskriminierung bei Stellenangebot für Assistenten zur Unterstützung eines Menschen mit Behinderung im Alltag

Die Beschäftigung einer persönlichen Assistentin, die einen Menschen mit Behinderung im Alltag unterstützt, kann Personen derselben Altersgruppe vorbehalten werden. Die sich daraus ergebende unterschiedliche Behandlung wegen des Alters kann aufgrund der Art der geleisteten persönlichen Assistenzdienste gerechtfertigt sein. So der EuGH (Rs. C-518/22).

EuGH, Pressemitteilung vom 07.12.2023 zum Urteil C-518/22 vom 07.12.2023

Die Beschäftigung einer persönlichen Assistentin, die einen Menschen mit Behinderung im Alltag unterstützt, kann Personen derselben Altersgruppe vorbehalten werden.

Die sich daraus ergebende unterschiedliche Behandlung wegen des Alters kann aufgrund der Art der geleisteten persönlichen Assistenzdienste gerechtfertigt sein.

AP Assistenzprofis ist eine deutsche Gesellschaft, die auf Assistenz- und Beratungsdienstleistungen für Menschen mit Behinderungen spezialisiert ist. Im Jahr 2018 suchte sie persönliche Assistentinnen, die eine 28-jährige Studentin in allen Lebensbereichen ihres Alltags unterstützen sollten. Nach der Anzeige sollten die gesuchten Personen „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“. Eine abgelehnte Bewerberin, die nicht dieser Altersgruppe angehörte, sieht sich wegen ihres Alters diskriminiert.

Das deutsche Bundesarbeitsgericht möchte vom Gerichtshof wissen, inwieweit zum einen der Schutz vor Diskriminierung wegen des Alters und zum anderen der Schutz vor Diskriminierung wegen einer Behinderung in einer solchen Situation in Einklang gebracht werden können.

In seinem Urteil betont der Gerichtshof, dass die von einem Menschen mit Behinderung geäußerte Bevorzugung persönlicher Assistentinnen einer bestimmten Altersgruppe geeignet ist, die Achtung seines Selbstbestimmungsrechts zu fördern.

Im vorliegenden Fall ist es nach den deutschen Rechtsvorschriften ausdrücklich vorgeschrieben, den individuellen Wünschen von Menschen mit Behinderungen bei der Erbringung von Leistungen der persönlichen Assistenz zu entsprechen. Folglich müssen die Betreffenden in der Lage sein, zu entscheiden, wie, wo und mit wem sie leben.

In diesem Kontext lässt sich vernünftigerweise erwarten, dass eine persönliche Assistentin, die derselben Altersgruppe wie der Mensch mit Behinderung angehört, sich leichter in dessen persönliches, soziales und akademisches Umfeld einfügt. Die Festlegung einer Altersanforderung kann daher im Hinblick auf den Schutz des Rechts auf Selbstbestimmung des betreffenden Menschen mit Behinderung notwendig und gerechtfertigt sein.

Quelle: EuGH

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EuGH zur SCHUFA: DSGVO steht zwei Datenverarbeitungspraktiken von Wirtschaftsauskunfteien entgegen

Die DSGVO steht zwei Datenverarbeitungspraktiken von Wirtschaftsauskunfteien entgegen. Während das „Scoring“ nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, steht die längere Speicherung von Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung im Widerspruch zur DSGVO. So der EuGH (Rs. C-634/21, C-26/22 und C-64/22).

EuGH, Pressemitteilung vom 07.12.2023 zu den Urteilen C-634/21, C-26/22 und C-64/22 vom 07.12.2023

Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) steht zwei Datenverarbeitungspraktiken von Wirtschaftsauskunfteien entgegen.

Während das „Scoring“ nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, steht die längere Speicherung von Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung im Widerspruch zur DSGVO.

Mehrere Bürger fochten vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden Bescheide des zuständigen Datenschutzbeauftragten an, mit denen er sich weigerte, gegen bestimmte Tätigkeiten der SCHUFA, einer privaten Wirtschaftsauskunftei, vorzugehen, zu deren Kunden insbesondere Banken zählen. Sie wandten sich konkret gegen das „Scoring“ sowie gegen die Speicherung von aus öffentlichen Registern übernommenen Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung.

Das „Scoring“ ist ein mathematisch-statistisches Verfahren, das es ermöglicht, die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Verhaltens, wie etwa die Rückzahlung eines Kredits, vorauszusagen. Die Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung werden im deutschen öffentlichen Insolvenzregister sechs Monate lang gespeichert, während Verhaltensregeln der deutschen Wirtschaftsauskunfteien für ihre eigenen Datenbanken eine Speicherdauer von drei Jahren vorsehen. Das Verwaltungsgericht ersucht den Gerichtshof, den Umfang des Schutzes der personenbezogenen Daten, wie er von der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)1 vorgesehen ist, näher zu erläutern.

Der Gerichtshof entscheidet, dass das „Scoring“ als eine von der DSGVO grundsätzlich verbotene „automatisierte Entscheidung im Einzelfall“ anzusehen ist, sofern die Kunden der SCHUFA, wie beispielsweise Banken, ihm eine maßgebliche Rolle im Rahmen der Kreditgewährung beimessen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wiesbaden ist dies der Fall. Es obliegt diesem Gericht zu beurteilen, ob das deutsche Bundesdatenschutzgesetz im Einklang mit der DSGVO eine gültige Ausnahme von diesem Verbot enthält. Trifft dies zu, wird das Gericht außerdem zu prüfen haben, ob die in der DSGVO vorgesehenen allgemeinen Voraussetzungen für die Datenverarbeitung erfüllt sind.

In Bezug auf die Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung entscheidet der Gerichtshof, dass es im Widerspruch zur DSGVO steht, wenn private Auskunfteien solche Daten länger speichern als das öffentliche Insolvenzregister. Die erteilte Restschuldbefreiung soll nämlich der betroffenen Person ermöglichen, sich erneut am Wirtschaftsleben zu beteiligen, und hat daher für sie existenzielle Bedeutung. Diese Informationen werden bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit der betroffenen Person stets als negativer Faktor verwendet. Im vorliegenden Fall hat der deutsche Gesetzgeber eine sechsmonatige Speicherung der Daten vorgesehen. Er geht daher davon aus, dass nach Ablauf der sechs Monate die Rechte und Interessen der betroffenen Person diejenigen der Öffentlichkeit, über diese Information zu verfügen, überwiegen.

Soweit die Speicherung der Daten nicht rechtmäßig ist, wie dies nach Ablauf der sechs Monate der Fall ist, hat die betroffene Person das Recht auf Löschung dieser Daten, und die Auskunftei ist verpflichtet, sie unverzüglich zu löschen.

Was die parallele Speicherung solcher Informationen durch die SCHUFA während dieser sechs Monate angeht, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die in Rede stehenden Interessen gegeneinander abzuwägen, um die Rechtmäßigkeit dieser Speicherung zu beurteilen. Sollte es zu dem Ergebnis kommen, dass die parallele Speicherung während der sechs Monate rechtmäßig ist, hat die betroffene Person dennoch das Recht, Widerspruch gegen die Verarbeitung ihrer Daten einzulegen, sowie das Recht auf deren Löschung, es sei denn, die SCHUFA weist das Vorliegen zwingender schutzwürdiger Gründe nach.

Schließlich betont der Gerichtshof, dass die nationalen Gerichte jeden rechtsverbindlichen Beschluss einer Aufsichtsbehörde einer vollständigen inhaltlichen Überprüfung unterziehen können müssen.

Fußnote

1 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung).

Quelle: EuGH

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